«Die tiefere Temperatur ist Gewöhnungssache»
Amriswil (TG) hat wie viele andere Gemeinden als Energiesparmassnahme die Raumtemperatur in Gebäuden gesenkt. Nach der ersten Winterhälfte berichtet Stadträtin Sandra Reinhart von den ersten Erfahrungen.
Dass sich in Amriswil (TG) energietechnisch etwas tut, zeigt sich an diesem verhangenen Wintertag rasch. Der Weg vom Bahnhof zum stattlichen Stadthaus führt durchgehend durch eine Tempo-30-Zone. Reste einer Weihnachtsbeleuchtung finden sich nicht, dafür bunte Kartonsterne an den Strassenlaternen. Vor dem Stadthaus prangen drei Flaggen, die auf die Auszeichnung Energiestadt Gold hinweisen; ein Label, das Amriswil erst Anfang Januar entgegennehmen durfte.
«Unsere Bemühungen in den verschiedensten Bereichen haben dazu geführt, dass wir die Auszeichnung erhalten haben», sagt Sandra Reinhart. Es reiche nicht, sich nur in einzelnen Bereichen zu engagieren – als Energiestadt brauche es ein umfassendes Engagement, von Beschaffungen über die Grünraumplanung bis hin zur Kommunikation.
Das zeigt sich in Amriswil auch bei den Energiesparmassnahmen, welche die 14 000-Einwohner-Gemeinde im Thurgau diesen Winter ergriffen hat. «Wir waren früh informiert und wussten, dass da etwas kommt. Als Energiestadt war es für uns selbstverständlich, etwas zu unternehmen. Sonst sind wir nicht glaubwürdig.»
Nicht überall gleich kühl
Die Weihnachtsbeleuchtung ersetzte Amriswil durch die bunten, von lokalen Kulturschaffenden gestalteten Kartonsterne. Ein Weihnachtsbaum im Stadtzentrum wurde aufgestellt und geschmückt, aber nicht mit Lichtern. Die Strassenbeleuchtung wird in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Kantons früher ausgeschaltet, nämlich um 23 Uhr. Zudem beschloss die Stadt, zusätzliche Solarpanels auf den Dächern der gemeindeeigenen Gebäude anzubringen.
In den Gebäuden senkte Amriswil die Raumtemperatur. «Wir haben keine Einheitstemperatur vorgegeben, sondern haben bei den einzelnen Gebäuden geschaut, was sinnvoll ist», erklärt Sandra Reinhart. In Räumen, die gar nicht gebraucht werden, wurde die Temperatur naturgemäss stärker gesenkt als dort, wo gearbeitet wird. Und in den Gängen und Toiletten ist es kühler als in den Büroräumen. Dort gilt die Maximaltemperatur von 20 Grad. «Uns war es wichtig, dass wir trotz tieferen Temperaturen noch ein angenehmes Arbeitsklima haben.» Mit 20 Grad sei das gegeben. «Klar, es ist etwas kühler, aber mit einem warmen Pulli ist es angenehm.»
Sie habe keine Kenntnis von negativen Rückmeldungen. «Am Anfang gab es den einen oder anderen Witz», sagt sie schmunzelnd. Aber: «Grundsätzlich wurde die Regelung sehr gut akzeptiert. Wir haben uns daran gewöhnt.» Die Schulen in Amriswil haben ihre eigenen Regeln erlassen, aber auch dort wurden die Raumtemperaturen gesenkt – laut Sandra Reinhart lief es auch dort ohne grossen Aufschrei.
Mehr Diskussionen über Beleuchtung
Eine Massnahme also, über die im Vorfeld viel diskutiert wurde, die aber schliesslich ganz unspektakulär verlief? Das könne man so sagen, bestätigt Sandra Reinhart. Auch die technische Umsetzung sei keine grosse Sache gewesen. Nur im Stadthaus, einem älteren Gebäude, sei es etwas komplizierter gewesen. «Unsere Hauswarte hatten das aber rasch im Griff.»
Über die anderen Massnahmen der Stadt Amriswil sei deutlich mehr diskutiert worden, so zum Beispiel über die fehlende Weihnachtsbeleuchtung oder die frühere Abschaltung der Strassenlampen. «Dabei gab es zunächst ein technisches Problem, und die Lampen gingen bereits um 21 Uhr aus – das hat dann für Unmut gesorgt.» Das Problem sei aber schnell behoben gewesen.
Ist es denkbar, dass die Raumtemperatur in den Amriswiler Gemeindegebäuden auch in den nächsten Wintern tiefer bleibt? «Ich kann mir das vorstellen. Die tiefere Temperatur ist Gewöhnungssache», sagt Sandra Reinhart. Sie betont aber, dass der Stadtrat darüber noch nicht diskutiert hat. Dass die Weihnachtsbeleuchtung dauerhaft ausfällt, kann sie sich jedoch eher nicht vorstellen. «Ich denke, dass wir sie in Jahren, in denen keine Strommangellage droht, wieder regulär aufhängen.»
Als Vorbild vorangehen
Wie viel Energie und Geld Amriswil mit den Temperatursenkungen gespart hat, lässt sich nicht beziffern. «Das ist sehr schwierig zu sagen, weil es stark mit der Temperatur zusammenhängt. Wir hatten einen milden Herbst, dann einen Kälteeinbruch, und über den Jahreswechsel war es wieder sehr warm», so Reinhart. Vergleiche mit anderen Jahren seien daher schwierig.
«Wenn wir einen Beitrag leisten, ist es wichtig, darüber zu informieren und zu erklären, warum das Engagement wichtig ist.»
«Die konkreten Zahlen sind weniger relevant, als dass wir ein gutes Vorbild sind», findet Sandra Reinhart. Gerade deshalb sei auch die Kommunikation wichtig. Die Stadt hat ein klares Kommunikationskonzept, berichtet in ihrer Publikation «Info Amriswil» regelmässig über ihre Bemühungen und hat auch Empfehlungen für die Bürgerinnen und Bürger publiziert. «Wenn wir einen Beitrag leisten, ist es wichtig, darüber zu informieren und zu erklären, warum das Engagement wichtig ist.» Aus diesem Grund sei Amriswil auch der Energiespar-Alliance beigetreten (siehe Kasten).
Angesichts der aktuellen Situation mit dem Krieg in der Ukraine, der drohenden Strommangellage, aber auch des Klimawandels findet sie es wichtig, dass die Gemeinden als Vorbilder vorangehen. Für die Stadt Amriswil, die seit zwölf Jahren das Label Energiestadt trägt, ist dies selbstverständlich. Und Sandra Reinhart hofft, dass dieses Engagement auch die Bürgerinnen und Bürger inspiriert. «Jeder kleine Beitrag hilft.»
Winter-Energiespar-Initiative des Bundes
Der Bund hat Ende August 2022 die Winter-Energiespar-Initiative lanciert. Sie soll Privatpersonen, aber auch Institutionen und Unternehmen motivieren, keine Energie zu verschwenden. Als Teil der Energiespar-Alliance anerkennt der Schweizerische Gemeindeverband die drohende Strommangellage als ernstes Problem und unterstützt die Anstrengungen zur Senkung des Energieverbrauchs. Die Energiespar-Alliance vereint Organisationen, welche die Bemühungen für die Versorgungssicherheit im Winter unterstützen, indem sie freiwillig Massnahmen ergreifen, um Energie effizienter und sparsamer zu nutzen. Auch die Gemeinden sind gefordert. Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der die «Schweizer Gemeinde» Best-Practice-Beispiele von Gemeinden vorstellt, die Initiativen zum nachhaltigen Umgang mit Energie lanciert haben.