Die Sorgen der Kleinen mit der Raumplanung
Wenn jemand eine Ahnung von Planung haben sollte, dann sicher die Raumplaner. Doch auch ausgewiesene Experten tun sich schwer bei der aktuellen Umsetzung des Raumplanungsgesetzes. Zu kämpfen haben vor allem kleinere Gemeinden.
Die Raumplanung gehört zu jenen Aufgaben, die in unserem Land fast exemplarisch föderalistisch gelöst werden. Der Bund legt die Rahmenbedingungen fest, die Kantone konkretisieren, und die Gemeinden setzen um. Die jeweils optimale Nutzung des Bodens ist aber eine äusserst komplexe Aufgabe, die vor allem kleine Gemeinden herausfordert. In den Sorgenbarometern der kleinen Gemeinden nimmt jedenfalls die Raumplanungsproblematik regelmässig einen Spitzenplatz ein. Bei den mittleren und grossen Gemeinden zählt sie dagegen nicht zu den grössten Sorgen.
Für Heidi Haag, Leiterin Siedlungsberatung für Gemeinden des Schweizer Raumplanungsverbands EspaceSuisse sind die Schwierigkeiten der Kleinen verständlich: «Bei der Raumplanung gibt es keine einfachen Antworten, und nicht bei allen Gemeinden stellen sich die Probleme gleich.» Unterschiede gibt es vor allem bei den noch wachsenden und den schrumpfenden, oft kleinen Gemeinden.
Das Ziel ist noch klar: Nach dem neuen Raumplanungsgesetz soll der Boden in unserem Land künftig haushälterischer genutzt werden. Das heisst, die Entwicklung soll grundsätzlich auf bereits überbautem Boden stattfinden (Innenentwicklung).
Einfache Lösungen gibt es kaum
Es gelte für die Gemeinden also immer abzuklären, wo Wachstum sinnvoll sei. In einem räumlichen Leitbild soll aufgezeigt werden, welches Wachstumspotenzial wo vorhanden ist und wie es ausgeschöpft werden könne. «Rundumschläge, zum Beispiel alle Gebäude um ein Stockwerk aufstocken, sind in der Raumplanung keine Lösung», ist die Raumplanungsexpertin überzeugt: «Unabdingbar ist es, immer auch die Bevölkerung einzubeziehen, soll es nicht später in der Nutzungsplanung zu Abstimmungsniederlagen kommen.»
Eine erste Bilanz des vor knapp zehn Jahren eingeführten Raumplanungsgesetzes fällt für Haag grundsätzlich positiv aus: «So finden heute viel weniger Neueinzonungen statt. Das vermindert die Aussenentwicklung und damit den Bodenverbrauch. Mehr Knacknüsse gibt es bei der Innenentwicklung. Hier besteht oft das Problem der Baulandhortung. Oder die Nachbarn versuchen mit allen Mitteln, neue Projekte zu verhindern.» Notwendige Entwicklungen in den Ortszentren würden dadurch erschwert oder jahrelang hinausgezögert. Umso wichtiger sei es, dass die Gemeinden bei allen Innenentwicklungsprojekten eine hohe Qualität einforderten. Dies bei der Architektur, dem Grün- und Aussenraum oder bei den Nutzungsvorgaben.
«Bei der Raumplanung gibt es keine einfachen Antworten, und nicht bei allen Gemeinden stellen sich die Probleme gleich.»
Poschiavo fühlt sich zu stark eingeengt
Für schrumpfende Gemeinden wie die Bündner Gemeinde Poschiavo, die aktuell mitten im Planungsprozess steckt, kommt diese Aufgabe einer Quadratur des Zirkels gleich: «Die Gemeinden haben schlicht zu wenig Bewegungsfreiheit», klagt Gemeindepräsident Giovanni Jochum: «Aufgrund der Bundesgesetzgebung haben schon die Kantone kaum mehr grosse Spielräume. Diese engen dann die Kompetenzen der Gemeinden zusätzlich ein. Für eine kleine Gemeinde wie Poschiavo mit 3500 Einwohnern und einer leicht sinkenden Bevölkerungsprognose heisst dies schlicht nur noch auszonen.» Dies gelte nicht nur für Bauland, sondern auch für Gewerbe- und Industriezonen. «Den Gemeinden wird jede mögliche Perspektive, irgendwann wieder wachsen zu können, von vornherein genommen. Die Umsetzung des Raumplanungsgesetzes auf kommunaler Ebene ist also eine sehr schwierige Sache», bilanziert Jochum.
Ganz ähnlich sieht es Silvano Castioni, Gemeindeschreiber von Weisslingen (ZH): «Die Tendenz ist klar. Die Autonomie der Gemeinden in diesem Bereich wird durch den Kanton sukzessive beschnitten oder eingeschränkt.» Als Beispiele nennt er das Bauen ausserhalb von Siedlungsgebieten in kleinen Weilern oder den Bau und die Sanierung von Gemeindestrassen. Das ganze Genehmigungsverfahren müsse unbedingt vereinfacht werden.
«Die Tendenz ist klar. Die Autonomie der Gemeinden in diesem Bereich wird durch den Kanton sukzessive beschnitten oder eingeschränkt.»
Raumplanungsexpertin Heidi Haag bestätigt, dass die Umsetzung der Raumplanung in den oft schrumpfenden kleineren Gemeinden langsamer vonstattengeht. «Doch man kann nicht sagen, dass hier gar nichts passiert. Dörfer haben oft wertvolle Ortsbilder, in denen ein qualitatives Wachstum einem quantitativen vorzuziehen ist. Und dieses braucht halt mehr Zeit.»
In den Agglomerationen, wo ein gewisses Wachstum besteht, ist die Innenentwicklung vielerorts besser sichtbar. An den Qualitäten könnte aber oft noch gearbeitet werden. «Raumplanung ist auf jeden Fall auch eine Daueraufgabe», betont Haag: «Eine Gemeinde, die die Problematik zunächst vorbildlich angegangen ist, kann rasch ins Hintertreffen geraten, wenn sie raumplanerisch nicht ständig am Ball bleibt.»
Lalden geht der Boden aus
Problemlos kommen aber auch kleine, rasch wachsende ländliche Gemeinden nicht über die Raumplanungsrunden: «Wegen der starken wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung der letzten Jahre verfügt die Gemeinde Lalden in den Wohn- und Gewerbezonen über wenig Reserven», sagt Jonas Ritz, Gemeindeschreiber der Walliser Gemeinde. Die Bauzone von Lalden entspreche noch dem Bedarf für die nächsten 15 Jahre. Die zukünftige Erweiterung der Bauzone beziehungsweise die Festlegung des Siedlungsgebietes stelle die nächste grosser Herausforderung dar.
Nicht selten müssen Gemeinden mit ihren ortsplanerischen Projekten auf eine Zusatzrunde. So in der Gemeinde Laupen (BE), wo ein umfassendes Entwicklungskonzept 2020 in einer Urnenabstimmung abgelehnt wurde. Mit einer engeren Einbindung der Bevölkerung und einer besseren Kommunikation hofft man nun auf ein Gelingen im zweiten Anlauf.
Weniger Gemeinden, weniger Sorgen?
Erleichtern die regelmässigen Fusionen zwischen den Gemeinden die Raumplanungsproblematik? Tendenziell ja, sagt Raumplanungsexpertin Heidi Haag: «Es muss nicht mehr jedes Dorf alles selbst haben, zum Beispiel eine eigene Arbeitszone. Die einzelnen Dörfer stehen weniger in Konkurrenz zueinander und können auch räumlich Synergien nutzen.» Wichtig sei aber, dass sich die neue Gemeinde damit auseinandersetzt, welche Bedeutung jedes der einzelnen Dörfer in Zukunft haben und welche Entwicklung dort stattfinden soll. «Dies geschieht am besten in einem räumlichen Leitbild.»
EspaceSuisse gibt Rat
Hilfe für die Gemeinden gibt es bei EspaceSuisse (www.espacesuisse.ch), dem Schweizer Raumplanungsverband. Diesem Verband sind aktuell rund 1500 Gemeinden, in denen zwei Drittel der Bevölkerung leben, angeschlossen. Er informiert, berät und unterstützt Kantone, Städte, Gemeinden und private Unternehmen in Planungs-, Bau- und Rechtsfragen. Mit massgeschneiderten Angeboten – im Sinne einer Erstberatung – unterstützt die Siedlungsberatung von EspaceSuisse Dörfer und Gemeinden in der qualitätsvollen, räumlichen Entwicklung.