Die neue Legislatur: Eine politische Einschätzung
Krisen haben die vergangene Legislatur geprägt – und sie werden auch Einfluss auf die Legislatur 2023 bis 2027 haben. Der Bund wird sparen müssen. Das wiederum kann auch eine gute Nachricht für den Föderalismus sein.
Die Gemeinden bilden im neuen Parlament die stärkste Fraktion. 146 von den 246 Mitgliedern im Nationalrat weisen in ihrem politischen Lebenslauf eine politische Aktivität auf kommunaler Ebene aus. Sei es als Gemeindepräsidentin, als Gemeinderat oder als kommunales Parlamentsmitglied. Das ist eine stolze Zahl, die sich seit den letzten nationalen Wahlen im Jahr 2019 nicht wesentlich bewegt hat. Auch hier haben wir, wie in der parteipolitischen Zusammensetzung, im Grossen und Ganzen stabile Verhältnisse. Heisst das, dass es auch politisch keine Änderungen geben wird?
Wertet man nun das Resultat der letzten Wahlen nüchtern politisch, dann sind wirklich keine grossen Veränderungen im Vergleich zur letzten Legislatur zu erwarten. Die wesentlichen Themen wie Energiewende, Gesundheitskosten, Migration und Sicherheit bleiben dieselben. Leicht vergisst man, dass die letzten drei Jahre stark von der Covid-Pandemie und von weiteren Krisensituationen wie dem Ukrainekrieg und der Energieknappheit geprägt waren. Gerade die Covid-Pandemie, obschon sie als Krisenereignis vorbei ist, wird die neue Legislatur trotzdem stark prägen.
Der Bund wird nicht so spendabel sein
Denn die hohen finanziellen Ausgaben des Bundes zur Bewältigung der Pandemie sind nicht spurlos am eidgenössischen Finanzhaushalt vorbeigegangen. Das wird konkrete Folgen für diverse politische Projekte haben, die auch die Gemeinden angehen. Sicher betroffen sein wird die Diskussion rund um die familienergänzende Kinderbetreuung. Der Bund wird hier nicht so spendabel sein wie ursprünglich angenommen. Die parlamentarische Beratung hat das bereits gezeigt.
Dasselbe wird für andere Projekte wie die politische Bewältigung der Wohnungsknappheit gelten. Der Bundesrat wird vermehrt auf die vorhandene Kompetenzteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden verweisen. Auch der Umstand, dass die Schweizerische Nationalbank auf absehbare Zeit keine Gewinne mehr an Bund und Kantone ausschütten wird, wird die nächste Legislatur tangieren. Es ist also anzunehmen, dass die nächsten vier Jahre zu einer Zeit des Sparens werden.
Für den Föderalismus muss es aber nicht nur von Nachteil sein, wenn sich der Bund auf seine Kernaufgaben beschränkt. Wenn das Geld für Investitionen in alle möglichen nationalen Politprojekte fehlt, dann macht nämlich jede staatliche Ebene jene Aufgaben, die ihr auch wirklich zugeteilt sind. Auch wird dann vor allem dort investiert, wo es notwendig ist. So etwa in die wichtigen nationalen Infrastrukturprojekte für die Schiene und die Strasse. Oder aber in die Agglomerationsprogramme und in die Regional- und Tourismuspolitik.
Gesundheitskosten und Raumplanung
Was andere wichtige politische Dossiers in den nächsten vier Jahren angeht, ist als Erstes jenes der einheitlichen Finanzierung ambulant und stationär (EFAS) zu nennen. Ein Meilenstein in der neuen Finanzierung des Gesundheitswesens. Hier hat der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) zusammen mit den Kantonen seit Beginn für eine Aufnahme der Pflege in das Portefeuille der Gesundheitsleistungen gekämpft. Der Pflegebereich soll dabei in den grossen Topf zusammen mit den Spital- und Arztleistungen, stationär und ambulant, kommen. Die finanzielle Belastung soll so auf alle öffentlichen und privaten Schultern verteilt werden. Heute sind die Gemeinden die alleinigen Restkostenträger im Bereich der Pflege. Die jüngsten parlamentarischen Beratungen im Nationalrat stimmen hier sehr zuversichtlich, dass nun endlich ein Schlussstrich unter die Frage gezogen werden kann. Zugunsten der Gemeinden.
Im Bereich der Raumplanung steht nach Abschluss der grossen Diskussionen bezüglich der ersten und der zweiten Revision eine nächste, ebenfalls wichtige Debatte an. Der SGV hat sich vor zehn Jahren bei der Entstehung des Zweitwohnungsgesetzes dafür eingesetzt, dass die Auswirkung des Erlasses nach einer bestimmten Zeit evaluiert werden soll. Die parlamentarische Initiative (20.456) «Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes aufheben» hat hier eine erste Diskussion ausgelöst. Weitere müssen und werden folgen. Denn es ist eindeutig, dass die Auswirkungen des Erlasses gerade für Gemeinden nicht nur positiv sind. So schränkt das strikte Gesetz die Entwicklung der (historischen) Dorfkerne etwa in Berggemeinden stark ein. Die Folge davon ist die Abwanderung der Einheimischen. Hat das Zweitwohnungsgesetz in den Tourismus-Hotspots etwas bewirken können, so hat es in den touristischen Randgebieten vor allem negative Folgen. Der SGV möchte hier im Minimum eine offene Diskussion führen, ohne den Volkswillen grundsätzlich zu hinterfragen.
Ein letzter Themenbereich, der die neue Legislatur prägen wird, wird der Service public sein. Erstens wird es um die Neugestaltung des postalischen Service public gehen. Dabei soll nicht nur die Anzahl von Poststellen diskutiert werden, sondern auch der Inhalt des öffentlichen Auftrags und die Art und Weise, wie die Schweizerische Post diesen umsetzen soll. Und zweitens um die öffentliche Finanzierung im Bereich der Medien: Wie viel Geld sollen die öffentlichen und privaten Schweizer Medien aus dem Gebührentopf erhalten, um sicherstellen zu können, dass die Medienvielfalt und die regionale Berichterstattung aufrechterhalten werden kann? Beides sind Fragen, welche die kommunale Ebene stark betreffen. Der SGV wird sich aktiv an der Debatte beteiligen.