Die Begegnungszone wird 20 Jahre alt
Seit 20 Jahren mehr Raum auf den Strassen zum Flanieren: Die Begegnungszone feiert Jubiläum. Pascal Regli, Geschäftsleiter von Fussverkehr Schweiz, erklärt, was Gemeinden bei der Einrichtung von Begegnungszonen beachten sollten.
Pascal Regli, 2002 sind in der Schweiz die Begegnungszonen eingeführt worden. Seither sind rund 1000 dieser Zonen entstanden. Ein Erfolg?
Gerade in den grösseren Städten der Deutschschweiz kann man von einem Siegeszug der Begegnungszonen sprechen. Die Stadt Bern ist eine Vorreiterin, auch in Zürich und Basel gibt es zahlreiche dieser Zonen. In der Romandie ist das Konzept noch nicht so breit angekommen. Auch in kleineren Städten und Gemeinden gibt es noch Potenzial.
Wie erklären Sie sich den Erfolg der Begegnungszone in den Städten?
In den Grossstädten besitzen 50 bis 60 Prozent der Haushalte kein Auto. Die Bevölkerung ist deshalb aufgeschlossener gegenüber Konzepten, in denen das Auto weniger dominant ist und zusätzliche Funktionen für den öffentlichen Strassenraum frei werden.
Warum haben es die Begegnungszonen in kleineren Städten und Gemeinden schwieriger?
Dort basiert die Mobilitätskultur stärker auf dem motorisierten Individualverkehr, deshalb ist die Skepsis gegenüber den Begegnungszonen sicher grösser. Es gibt aber durchaus sehr gute Beispiele für Begegnungszonen in kleineren Orten. Das hilft, das Konzept auch im ländlichen Raum bekannter zu machen.
Welche Vorteile bringen denn Begegnungszonen den Gemeinden?
Begegnungszonen teilen öffentlichen Strassenräumen mehr Funktionen zu. Die Strassen sind nicht mehr reine Fahrbahnen und Parkierflächen für Motorfahrzeuge, sondern bieten mehr Aufenthaltsqualität. Dies ohne den motorisierten Verkehr ganz zu verbannen. Ich selbst wohne an einer Strasse, die vor einigen Jahren von einer Tempo-30-Zone in eine Begegnungszone umgewandelt wurde. Seit dem Wechsel spielen deutlich mehr Kinder draussen. Gerade in Wohnquartieren, aber auch im Umfeld von Schulhäusern ergeben Begegnungszonen Sinn, weil sie die Sicherheit erhöhen. In Altstädten oder Geschäftsstrassen kann durch Begegnungszonen mehr Raum zum Beispiel für Restaurantterrassen, aber auch für den spontanen Schwatz unterwegs geschaffen werden.
Gerade in Stadtzentren gibt es jedoch immer wieder Sorge aus dem Gewerbe, dass mit einer Verkehrsberuhigung die Kundschaft wegfällt.
Studien zum Thema existieren leider nur wenige. Aber es gibt gute Beispiele, die zeigen, dass diese Sorgen unbegründet sind und das Gewerbe sogar profitieren kann. Zudem sind Autos in Begegnungszonen ja weiterhin erlaubt.
«Begegnungszonen sollten dort eingerichtet werden, wo sie Sinn ergeben und wo insbesondere die Menschen zu Fuss profitieren können.»
Wenn eine Gemeinde eine Begegnungszone einrichten will, was muss sie dabei beachten?
Begegnungszonen sollten dort eingerichtet werden, wo sie Sinn ergeben und wo insbesondere die Menschen zu Fuss profitieren können: also zum Beispiel auf einer Quartierstrasse oder auf einem Bahnhofsplatz und nicht an einer Hauptverkehrsachse. Zudem gilt es, sämtliche Beteiligten wie Anwohnende und das Gewerbe von Anfang an einzubeziehen und zusammen eine Lösung zu finden, die passt.
Wie sieht die Zukunft der Begegnungszone aus?
Rein quantitativ ist gerade in den kleineren Städten und Gemeinden noch mehr möglich. Dafür braucht es eine gewisse Beharrlichkeit, gute Beispiele und wohl auch einfach Zeit. Interessant sind Ansätze, neue Wohnsiedlungen von Anfang an als Ort für sozialen Austausch und fürs Spielen zu konzipieren und die Erschliessungen als Begegnungszonen einzurichten. Qualitativ gesehen gibt es interessante Bemühungen, um mehr Leben in die Strassen zu bringen. Denn einfach eine Begegnungszonentafel aufzustellen, reicht nicht. Zürich oder Bern experimentieren deshalb in Testzonen mit provisorischen Elementen wie Sitzmöglichkeiten oder Begrünungen.
Begegnungszonen: Vorrang zu Fuss
In Begegnungszonen haben Fussgängerinnen und Fussgänger Vortritt und dürfen die Strasse jederzeit queren. Für den motorisierten Individualverkehr gilt die Tempolimite von 20 km/h. Es darf nur auf markierten Feldern parkiert werden. Wie Fussverkehr Schweiz auf seiner Website ausführt, werden Begegnungszonen typischerweise in fünf verschiedenen Bereichen eingerichtet: in Wohnquartieren, im Umfeld von Schulen, an Bahnhofsplätzen, in Zentrums- und Geschäftsgebieten sowie in Altstädten. Ein Beispiel für eine Begegnungszone in einer Altstadt ist Brugg. Aus Rücksicht auf das Gewerbe wurde dort auf eine Fussgängerzone verzichtet und stattdessen eine Begegnungszone eingerichtet. Autos können somit immer noch zu den Geschäften gelangen und kurzzeitig davor parkieren. Gleichzeitig steigerte die Begegnungszone die Attraktivität der Altstadt für Fussgängerinnen und Fussgänger. Nachts, wenn die Geschäfte geschlossen sind, gehört die Altstadt ganz den Menschen zu Fuss: Dann nämlich gilt ein Fahrverbot für den motorisierten Individualverkehr.
Über Fussverkehr Schweiz
Der Fachverband Fussverkehr Schweiz setzt sich seit 1975 für die Anliegen der Fussgängerinnen und Fussgänger in Gemeinden, Städten sowie auf Bundesebene ein. Er engagiert sich für eine fussgängerfreundliche Verkehrsgestaltung und Infrastruktur und war unter anderem bei der Entstehung der Begegnungszonen aktiv involviert. Fussverkehr Schweiz führt die Homepage www.begegnungszonen.ch, wo viele Begegnungszonen sowie Best-Practice-Beispiele aufgeführt sind.