«Die Arbeit für die Gemeinden in Bundesbern ist ein grosses Privileg»
Claudia Kratochvil hat im Juli die Direktion des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV) übernommen. Zum Jahresende blickt die erste Frau an der Spitze der SGV-Geschäftsstelle auf ihre ersten Monate im Amt zurück. 2025 wird herausfordernd bleiben; die Gemeindeautonomie und das Milizsystem stehen unter Druck. Claudia Kratochvil erklärt, wie sie diese Herausforderungen angehen will.
Claudia Kratochvil, mit welchen drei Worten würden Sie das Jahr 2024 des Gemeindeverbands beschreiben?
Wandel, Entwicklung und Kontinuität. Wandel wegen der Wechsel im Vorstand und in der Direktion; Entwicklung wegen der Verstärkung der Geschäftsstelle durch zwei neue Mitarbeitende sowie Kontinuität, weil ich als langjährige Politikverantwortliche die gute Arbeit meiner Vorgänger nun als Direktorin weiterführe.
Sie sind seit 2009 für den SGV tätig. Was gefällt Ihnen an der Arbeit für die Gemeinden?
Ich empfinde es als grosses Privileg, mich für die kommunale Ebene in Bundesbern zu engagieren. Mich fasziniert die Vielfalt der Aufgaben der Gemeinden. Diese sind an der Front, und ich bin überzeugt, dass ihre Rolle im Staat sehr zentral ist. Umso wichtiger, dass sie mit dem SGV eine kompetente Anlaufstelle in Bundesbern haben. Der SGV pflegt als anerkannter Partner einen engen Austausch mit Bundesbehörden und diskutiert in zahlreichen Gremien mit.
Was sind Ihre persönlichen Ziele für den Verband?
Ich möchte die Position des SGV durch unsere politische Arbeit festigen und sowohl den Kontakt zu den Gemeinden als auch zum nationalen Parlament intensivieren. Mit drei Nationalratsmitgliedern im Vorstand und unserem Präsidenten, Ständerat Mathias Zopfi, sind wir sehr gut aufgestellt. Zudem ist es mir wichtig, Partnerschaften mit den kantonalen Direktorenkonferenzen und nationalen Verbänden wie auch mit Fachhochschulen und Bundesämtern weiterzuführen und neu aufzubauen – für eine breit abgestützte Politik und um attraktive Angebote für die Gemeinden zu entwickeln.
«Ich möchte die Position des SGV durch unsere politische Arbeit festigen und sowohl den Kontakt zu den Gemeinden als auch zum nationalen Parlament intensivieren.»
Die Gemeindeautonomie ist zuletzt insbesondere durch die Energievorlagen unter Druck geraten. Wie setzt sich der SGV hier ein?
Der SGV befürwortet den Ausbau der erneuerbaren Energien und auch eine Beschleunigung der Verfahren – doch die Standortgemeinden müssen in die Entscheide miteinbezogen werden. Unser Einsatz hat sich gelohnt: Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats hat sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass bei Energieprojekten die Zustimmung der Standortgemeinde vorliegen muss.
Auch das Milizsystem ist unter Druck. Was tut der SGV, um dieses zu fördern?
Der SGV will den grossen Einsatz der Gemeinderätinnen und Gemeinderäte in der Schweiz sichtbar machen. Dank ihres Engagements bleibt die Politik bürgernah, das verdient Wertschätzung. Dazu bieten wir die Zertifizierung der Führungskompetenzen von Behördenmitgliedern an, die ihnen im Berufsleben nach dem politischen Amt Türen öffnen kann. Wichtig ist es, bereits die Jugend über die Rolle unserer Gemeinden zu informieren. Wir tun das unter anderem mit einem eigens entwickelten Pixi-Büchlein für Schulen, das wir kürzlich neu aufgelegt haben. Zudem unterstützen wir Forschung im Bereich Milizarbeit wie die praxisnahen Projekte «Promo35» und «PromoFemina» der Fachhochschule Graubünden.
Frauen sind in der Gemeindepolitik weiterhin stark untervertreten. Wie wichtig ist Ihnen die Frauenförderung?
Diese liegt mir sehr am Herzen. Die Frauen stellen ein grosses ungenutztes Potenzial dar. Das zeigen die Zahlen, die der SGV 2024 erhoben hat: Nur 19 Prozent aller Gemeindepräsidien sind in Frauenhand. Für die nationale und kantonale Politik ist die Frauenförderung auf der Kommunalebene zentral, denn die meisten Personen steigen auf der Gemeindeebene in die Politik ein. Der SGV fördert die Vernetzung der Frauen in der Kommunalpolitik, zum Beispiel mit der internationalen Bürgermeisterinnenkonferenz, die wir dieses Jahr in Schaffhausen organisiert haben.
«Frauenförderung auf der Kommunalebene ist zentral, denn die meisten Personen steigen hier in die Politik ein.»
Was erwartet die Gemeinden 2025?
Die geplanten Sparmassnahmen des Bundes werden uns stark beschäftigen. So soll im Asylbereich die Integrationspauschale gekürzt werden, was eine kaum stemmbare Lastenverschiebung hin zu Kantonen und Gemeinden bedeutet. Zur postalischen Grundversorgung erwartet der SGV zeitnah eine politische Diskussion im Parlament unter Einbezug der Gemeinden.
Welche Projekte hat der SGV 2025 geplant?
Wir erarbeiten derzeit mit Partnern ein Vorgehensmodell, wie sich Gemeinden und Kantone organisieren können, um ihre digitalen Dienstleistungen auf einem gemeinsamen Serviceportal anbieten zu können. 2025 folgt die Begleitung der Gemeinden in der Umsetzung. Zudem haben wir spannende Anlässe geplant, wie die Gesundheitsförderungskonferenz, unsere GV im Kanton Genf oder die Föderalismuskonferenz.
Worauf freuen Sie sich persönlich im nächsten Jahr?
Ich freue mich auf die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen des Artikels 50 in der Bundesverfassung. Dieser sogenannte Gemeindeartikel verpflichtet den Bund, bei der Gesetzgebung auf die Interessen der Gemeinden Rücksicht zu nehmen.
Zur Person
Claudia Kratochvil ist in Bern aufgewachsen und hat in Genf Politologie studiert. Seit 2009 ist sie für den Schweizerischen Gemeindeverband tätig und verantwortete unter anderem den ersten eidgenössisch anerkannten Fachausweis für das Gemeindepersonal sowie die Politikbereiche Bildung, Gesundheit, Soziales und Integration. 2017 wurde sie stellvertretende Direktorin und Leiterin des Bereichs Politik des Verbands. Seit Juli 2024 ist sie Direktorin des SGV.