Heinz Egli auf dem Griespass im Wallis, an der Grenze zu Italien.

Der Raumplaner, der einmal um die Schweiz wanderte

14.09.2024
9 | 2024

Heinz Egli war 25 Jahre lang Stadtplaner und -entwickler von Frauenfeld (TG). Jetzt plant er den Raum nicht mehr, sondern erwandert sich diesen. Von März bis Oktober 2022 umrundete er die Schweiz entlang der Grenze zu Fuss, legte dabei 3000 Kilometer und 150 000 Höhenmeter zurück und passierte 290 Gemeinden. Eine Reise, die im doppelten Sinne eine Grenzerfahrung war: Sie hat den Raumplaner nämlich auch an seine ganz eigenen Grenzen gebracht.

Heinz Eglis Umrundung der Schweiz entlang der Grenze war die Folge eines Plans B. 2020 hatte der Raumplaner vor, entlang des Pacific Crest Trail in den USA zu wandern. Er hatte trainiert, Ausrüstung gekauft, die Wohnung und seinen Job als Stadtentwickler von Frauenfeld gekündigt – und dann brach kurz vor der Abreise die Coronapandemie aus und durchkreuzte seine Pläne. «Stattdessen wanderte ich im Sommer 2020 ans Mittelmeer», erzählt er vier Jahre später im Garten eines Cafés in Zürich. Die Weitwanderlust hatte ihn gepackt.

Vor Weihnachten 2021 dann kam ihm die Idee: «Warum nicht einmal der Schweizer Grenze entlangwandern?» Er machte sich an die Planung der Route, und im März ging es in Balzers im Fürstentum Liechtenstein los. Heinz Egli wanderte im Gegenuhrzeigersinn und ging zunächst das Rheintal abwärts zum Bodensee, dann Richtung Basel und dem Jura entlang nach Genf, schliesslich entlang des Wallis, des Tessins und Graubündens.

Wege möglichst nahe der Grenze

«Ich nahm mir vor, auf Wegen so nahe wie möglich an der Grenze zu gehen», erzählt Heinz Egli. Wo möglich, ging er auch direkt auf der Grenze. «Besonders an der Nordgrenze der Schweiz war das immer wieder möglich. Dort zieht sich die Grenze oft als Schneise durch den Wald und ist relativ gut begehbar.» An der Südgrenze wiederum, besonders im Wallis, war das freilich nicht möglich. Dort entfernte sich Heinz Egli auf Bergwegen etwas weiter von der Grenze. Unterwegs übernachtete er in Jugendherbergen, im Zelt und in Berghütten. «Die späten Abend- oder frühen Morgenstunden mit dem Zelt auf einem Berg zu verbringen, das ist fantastisch», schwärmt er heute.

Auf seiner Tour rund um die Schweiz lernte Heinz Egli die unterschiedlichsten Arten von Grenzen kennen: Zwischen Kreuzlingen und Konstanz markieren am Hafen Kunstwerke die Grenze – um im Wohnquartier dann in unfreundlichen Maschendrahtzaun überzugehen. In Büsingen, der deutschen Enklave bei Schaffhausen, verläuft die Grenze mitten durch eine Gartenwirtschaft. Und im Tessin, wo der Migrationsdruck besonders hoch scheint, sind manche Abschnitte der Grenze mit Betonstelen oder Zäunen befestigt. In den Bergen traf er auf Stacheldrähte aus den Weltkriegen. In den allermeisten Fällen aber ist die Grenze anders spektakulär und verläuft im Grünen, entlang von Bergkämmen oder Gewässern. «Dieses ‹Nichts› finde ich aber ganz spannend», sagt Heinz Egli. «Wenn es nur geradeaus geht, bietet das die Möglichkeit, anderes zu entdecken und in sich zu gehen.»

«Als Raumplaner habe ich einen gesamträumlichen Blick auf die Siedlungsstruktur und die Landschaftsentwicklung.»

Heinz Egli, Weitwanderer und ehemaliger Stadtentwickler von Frauenfeld (TG)

Grenzsteine als ständige Begleiter

Egal durch welche Landschaft die Grenze verläuft – die Grenzsteine waren Heinz Eglis ständige Begleiter. Auf jedem Stein sind eine Nummer, die Jahreszahl sowie die Länder, die er begrenzt, markiert. Manche sind Hunderte von Jahren alt und deshalb auch nicht mehr ganz up to date: In Schaffhausen fand Heinz Egli zum Beispiel Grenzsteine von 1836, in die nicht «D» für Deutschland, sondern «GB» für Grossherzogtum Baden eingemeisselt war. Die heutige Bundesrepublik Deutschland gab es damals noch nicht. In zahlreichen Gemeinden traf Heinz Egli auf Infotafeln zur Grenze oder sogar auf Grenzwanderwege, etwa im Kanton Genf oder in der Gemeinde Rodersdorf (BL), deren Gemeindegrenze zu über 80 Prozent auch Landesgrenze ist.

«Als Raumplaner habe ich einen speziellen Zugang zum Raum», erzählt Heinz Egli. «Ich habe einen gesamträumlichen Blick auf die Siedlungsstruktur und Landschaftsentwicklung. Es ist wie ein Puzzle, das sich zur Schweiz zusammensetzt.»

Hier startete die Reise: der Rhein bei Balzers (FL).

Kulturgrenze Kreuzlingen - Konstanz bis in den Bodensee

Entlang der Grenze durch den Wald bei Dörflingen (SH).

In Rodersdorf (BL), einer Gemeinde, deren Grenze zu 80 Prozent auch Landesgrenze ist.

Heinz Egli mit einem Grenzstein bei Bourquin (NE).

Anspruchsvolles Terrain an der Grenze im Tessin.

Morgenstimmen oberhalb von Cadenazzo im Tessin, an der Grenze zu Italien.

Idyllisches Zeltlager am Lago di Emet.

Der östlichste Punkt der Schweiz mit dem Ortler im Hintergrund.

Einmal rundherum: Schlussetappe oberhalb von Balzers.

Herausforderungen und Highlights

Die Reise bezeichnet er heute als Grenzerfahrung im doppelten Sinn. Nicht nur lernte er die Landesgrenze kennen, sondern kam auch an seine eigenen Grenzen. Zum Beispiel als er entlang des Misox Felsrippen überklettern musste – weglos, nur mit Ketten gesichert. Oder als an der Grenze zwischen Italien und dem Tessin plötzlich ein Weg aufhörte und er sich auf allen vieren durch einen steilen Waldhang kämpfte. Daneben erlebte er zahlreiche Highlights, die meisten davon völlig unerwartet; zum Beispiel die Uina-Schlucht bei Scuol oder die Nacht in Sighignola, mit einem prächtigen Blick auf das Lichtermeer von Lugano.

Am 14. Oktober 2022 beendete Heinz Egli seine Umrundung der Schweiz wiederum in Balzers. Und der Pacific Crest Trail? Heinz Egli winkt ab. «Den mache ich wohl eher nicht mehr. Ich habe meinen Hunger nach Weitwanderungen etwas gestillt.» Obwohl – weitere Touren der Via Alpina könnte er sich vorstellen.

Buch und Vorträge

Heinz Egli hält Vorträge, in denen er von seiner Reise erzählt. Der erste fand diesen Frühling in Wil (SG) statt. Vorträge können auch gebucht werden. Zudem arbeitet Heinz Egli an einem Buch über seine Reise entlang der Schweizer Grenze, in dem er die einzelnen Etappen beschreibt und von seinen Highlights und Erfahrungen erzählt. Derzeit ist er auf der Suche nach Sponsoren.

Nadja Sutter
«Schweizer Gemeinde»
Chefredaktorin