Der Bezirk Baden testet einen neuen Ansatz für Kooperationen
Anstatt zu fusionieren, haben sich 13 Gemeinden des Bezirks Baden zu einer Modellstadt zusammengeschlossen, wo sie die Regionalisierung von verschiedenen Projekten gemeinsam untersuchen – von der Lehrlingsausbildung bis zur Steuerverwaltung.
Zahlreiche Gemeinden können ihre Lernenden nach der Lehre nicht weiterbeschäftigen. Besonders kleinere Gemeinden sind davon betroffen, da sie aufgrund des Stellenplans nur schwer neue Arbeitsplätze schaffen können. «Die Attraktivität der Gemeinde als Arbeitgeberin ist geschrumpft, da sie im Vergleich zur Privatwirtschaft nicht dieselben Karrieremöglichkeiten und Arbeitsplatzbedingungen bietet», sagt Marianne Stänz, Frau Gemeindeammann von Birmenstorf und Projektleiterin «Talent Pool» im Rahmen der Arbeitsgruppe «Behörden, Verwaltung und Organisation» der «Modellstadt» der Region Baden. Besonders gut ausgebildete Personen wanderten deshalb oft in den privaten Sektor ab.
Ein «Talent Pool» für 13 Gemeinden
Um diesem drohenden Fachkräftemangel entgegenzutreten, haben sich 13 Gemeinden im Rahmen des Modellstadtprojekts zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen. Gemeinsam mit der Fachhochschule Nordwestschweiz entstand dabei das Projekt «Talent Pool», das es den Lernenden ermöglichen soll, von einem aktiven Austausch während der Lehre und einer Weiterbeschäftigung in einer der 13 Gemeinden nach dem Lehrabschluss profitieren zu können. Das neu zu schaffende Netzwerk soll unter anderem den Austausch zwischen den Berufsbildungsverantwortlichen verbessern und die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden im Personalwesen auf mehreren Ebenen erleichtern.
«Mit dem ‹Talent Pool› soll neu ein Werkzeug geschaffen werden, das es uns erlaubt, Lernende und Betreuungspersonen untereinander zu vernetzen», erklärt Fabian Keller, Gemeindeammann von Gebenstorf. Ziel sei es ausserdem, die Personalentwicklung zu professionalisieren und eine Abwanderung von Fachkräften zu verhindern. Keller sieht im «Talent Pool» eine grosse Chance, die Ausbildung der bis zu 100 Lernenden sowie Praktikantinnen und Praktikanten aus den 13 Gemeinden attraktiver und einheitlicher zu gestalten.
Alternative zur Grossfusion
Der «Talent Pool» ist eines von mehreren Projekten der Modellstadt. Inoffizieller Startschuss für das Projekt Modellstadt waren zwei Rundtischgespräche, zu denen die Stadt Baden erstmals Ende 2019 sämtliche Gemeinden des Bezirks einlud, um über eine mögliche Fusion der Agglomerationsgemeinden zu diskutieren. «Das Interesse an einer Grossfusion war bei den teilnehmenden Gemeinden eher bescheiden», erinnert sich Fabian Keller. Doch die Idee, auf verschiedenen Ebenen enger zusammenzuarbeiten, resultierte sozusagen als Essenz dieser Gespräche. 13 von insgesamt 26 Gemeinden schlossen sich dieser Idee an. Die Gemeindevertreterinnen und -vertreter haben am 21. Januar 2020 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen mit dem Ziel, Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zu prüfen. «Dabei entstand im ersten Halbjahr 2020 die Idee der Modellstadt als Zwischenschritt und Alternative zur Fusion», berichtet Keller.
Starke Unterschiede zwischen den Gemeinden
«Modellstadt: Ergebnisse der 1. Projektphase und weiteres Vorgehen. Gemeinsam mehr erreichen»: Nach diesem Motto haben die Vertreterinnen und Vertreter der 13 Modellstadtgemeinden die Ergebnisse der ersten vier im Projekt bearbeiteten Themenbereiche zur Kenntnis genommen, diskutiert und das weitere Vorgehen beschlossen.
In der ersten Projektphase, die am 30. Juni 2021 ihren Abschluss fand, wurden im Themenbereich «Behörden, Verwaltung und Organisation» beträchtliche Unterschiede zwischen den Gemeinden festgestellt. Es werden eine verstärkte Zusammenarbeit und die Bündelung von Fachkompetenzen mit dem Ziel besserer und gleichzeitig kostengünstigerer Lösungen und höherer Professionalität angestrebt. Im Fokus stehen die Bereiche Informatik, Steuerverwaltung/Steuerveranlagungen, komplexe/seltene Vorgänge in den Bereichen Steuerverwaltung und Planung und Bau sowie die Personalentwicklung, speziell der Fachkräftemangel und die Weiterbeschäftigung von Lernenden nach Ausbildungsabschluss.
Im Bereich Finanzen wurden die Aspekte Verschuldung, Investitionen und Abschreibungen, Leistungsfähigkeit, Steuerertrag und Steuerfuss sowie Nettoaufwand analysiert. Der Steuerertrag pro Kopf lag 2019 bei 14 Prozent über dem Aargauer Durchschnitt. Es ist davon auszugehen, dass die Verschuldung in den Modellstadtgemeinden in der Finanzplanperiode bis 2025 durch das nach wie vor relativ hohe Investitionsvolumen im Durchschnitt deutlich steigen wird. «Je grösser eine Gemeinde, desto grösser sind die Bedürfnisse der Einwohnenden», beobachtet Keller und bezieht sich dabei auf die Erfahrung von Winterthur, das bereits vor 100 Jahren mit den umliegenden Gemeinden eine Fusion eingegangen ist.
Aufgrund der Komplexität der Themen sind im Bereich «Gesundheit, Gesellschaft, Soziales» einfache und sofortige Um- oder Neuorganisationen kaum möglich. Kooperationen in der Zukunft sind jedoch durchaus möglich. Vor allem im Bereich Soziales besteht Kooperationspotenzial, zum Beispiel in der Betreuung geflüchteter Menschen. Die weitere Planung soll in einem grossen und zukunftsorientierten Rahmen angelegt werden.
Eine Analyse im Bereich «Siedlungsentwicklung, Raumplanung und Mobilität» ergab, dass die Zusammenführung der Gemeinden in der Gesamtbetrachtung nicht zu einer Kostenreduktion beitragen würde. Eine Effizienzsteigerung sei auch im heutigen Kontext möglich. Vorgeschlagen wird eine gegenseitige Unterstützung in Form einer Arbeitsgruppe oder regelmässiger Planertreffen zur Erweiterung der Fach-, Methoden- und Prozesskompetenz durch Erfahrungsaustausch auf der Basis konkreter Themen. Um den Koordinationsaufwand zu reduzieren, ist zudem eine frühzeitige gegenseitige Abstimmung von Massnahmen vorgesehen.
Die Verantwortlichen der 13 teilnehmenden Gemeinden haben laut Fabian Keller beschlossen, in der zweiten Phase des Projekts drei konkrete Themen aus Phase 1 weiter zu bearbeiten. Dazu gehören neben dem «Talent Pool» die Zusammenarbeit im Bereich der Steuerverwaltung und die Betreuung von Asylsuchenden. Bei der Steuerverwaltung sieht Keller grosses Potenzial, wie die Erfahrungen aus anderen Gemeinden, die ihre Steuerverwaltungen ebenfalls zentralisiert betreiben, gezeigt hätten. Und die Kooperation im Asylbereich erhält zusätzlichen Schub durch die Ankündigung des Kantons Aargau, die Asylbetreuung auf den ersten Juli dieses Jahres an die Gemeinden zurückzugeben. Wie Fabian Keller berichtet, arbeitet die Arbeitsgruppe bereits intensiv an diesem Geschäft.
Verbindliche Umsetzungsverträge
Mit dem «Talent Pool», der Regionalisierung der Steuerverwaltung und der Lösung der Flüchtlingsbetreuung wurde am 11. August 2021 die zweite Phase des Modellstadtprojekts eingeläutet. Weitere Themen stehen auf der Agenda, der Aufbau einer gemeinsamen Informatikinfrastruktur, die Modellplanung über ein Teilgebiet der Nutzungsplanung und die Koordination der Entwicklungsprognosen der Schülerzahlen sowie von Schulraumplanung beziehungsweise Schulbauten. Die Modellstadtgemeinden zahlen aktuell einen jährlichen Beitrag für die zu erarbeitenden Konzepte, die Vorbereitung der einzelnen Projekte und die Projektsteuerung. Für die definitive Umsetzung der einzelnen Themen werden die effektiven Kosten dann auf die beteiligten Gemeinden umgelegt und die Zusammenarbeit in verbindlichen Verträgen festgelegt. Keller sagt: «Jede Gemeinde muss selbst entscheiden, welche Themen für sie einen Nutzen bringen und welche eher nicht. Wir gehen nicht davon aus, dass jedes Projekt bei 13 Gemeinden auf Gegenliebe stösst. Bei zu wenig Interesse werden wir selbst die besten Ideen nicht umsetzen.»
Vorbildcharakter für andere Gemeinden
Welche Faktoren haben sich als entscheidend erwiesen, damit die genannten Ziele erreicht werden können? «Jede Gemeinde will ihre Abläufe optimieren und professionalisieren. Dabei spielen die finanziellen und personellen Ressourcen eine wichtige Rolle», zieht Keller Bilanz. Gerade im Bereich der personellen Ressourcen könnten auch kleine Gemeinden einen wertvollen Beitrag leisten und gleichzeitig von Synergien profitieren. Alle beteiligten Gemeinden seien an einer engeren Zusammenarbeit interessiert und würden die Chancen erkennen. Vertrauen und eine transparente Kommunikation seien für dieses Projekt zentral, um mit Widerständen und Ängsten, als Gemeinde etwas zu verlieren, umgehen zu können. Keller ist überzeugt, dass die Modellstadt künftig auch für andere Gemeinden, die sich gegen eine Fusion aussprechen, Vorbildcharakter haben könne.
An der Modellstadt sind folgende Gemeinden aus dem Bezirk Baden beteiligt: Baden, Birmenstorf, Ehrendingen, Ennetbaden, Fislisbach, Gebenstorf, Mägenwil, Mellingen, Neuenhof, Oberrohrdorf, Obersiggenthal, Turgi und Wettingen. Zusammen zählen die Gemeinden 95424 Einwohnende.
Informationen:
«Jede Gemeinde will ihre Abläufe optimieren und professionalisieren.»