Piazza Grande in Locarno: Noch finden die grossen und kleinen Tessiner Gemeinden genug Gemeindepersonal.

Das Tessin kennt keinen spezifischen Fachkräftemangel

21.03.2022
3 | 2022

Die Gemeindeverwaltungen im Südkanton können bisher ihren Personalbedarf decken, doch bei Kaderfunktionen wird die Suche nach geeigneten Personen immer schwieriger.

Eine Gemeinde ohne eigenen Gemeindeschreiber oder Finanzverwalter? Das gibt es bisher im Tessin nicht. Zumindest gemäss einer Umfrage, welche die «Schweizer Gemeinde» bei einer Reihe von Tessiner Gemeinden durchgeführt hat. Das Tessin mit rund 350 000 Einwohnerinnen und Einwohnern kennt noch 108 Gemeinden. Ein Dutzend Gemeinden hat auf den Fragenkatalog zu einem allfälligen Fachkräftemangel geantwortet, darunter alle grösseren Städte. Dabei zeigt sich, dass es zwar keine chronischen Probleme mit Fachkräften in den Gemeindeverwaltungen gibt, doch gewisse Schwierigkeiten durchaus auftreten. Auffällig ist: Die Anstrengungen werden immer grösser, Fachpersonen für das gehobene Kader zu finden.

Kein Ausweichen auf Personal aus Italien

Ein Ausweichen auf Personal aus Italien ist in den Gemeindeverwaltungen nicht zu verzeichnen, teilweise aufgrund der Gemeindereglemente auch gar nicht möglich, welche die Anstellung von niedergelassenen Personen vorschreiben. Einzig die Stadt Lugano gibt an, in der Verwaltung auch Personen mit Wohnsitz in Italien beschäftigt zu haben, allerdings handelt es sich um Einzelfälle. «Mitte des Jahres 2020 waren 89 Prozent der Stadtangestellten Schweizer, 7 Prozent Italiener und 4 Prozent anderer Nationalität. Davon war ein Prozent in Italien ansässig», präzisiert die Stadt Lugano. Eine Ausnahme bilden allenthalben soziosanitäre Einrichtungen wie Alters- oder Pflegeheime, die auf Grenzgängerinnen und Grenzgänger angewiesen sind.

Das Municipio von Chiasso hält in einem ausführlichen Schreiben fest: «Wir sind der Ansicht, dass es in letzter Zeit immer schwieriger geworden ist, kompetente, fähige und gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden, je mehr die Bedürfnisse der Gesellschaft in allen Bereichen gewachsen sind.» Es seien immer grössere Fachkenntnisse gefragt, Gemeindeschreiber müssten obligatorisch an Fortbildungsmassnahmen teilnehmen. «Es ist nicht selbstverständlich, auf dem Markt die entsprechenden Mitarbeitenden zu finden, da es auch notwendig ist, dass eine Gemeinde einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die jeweiligen Arbeitskräfte bezahlen kann (...).»

Damit ist die Salärfrage angesprochen, die von einigen Gemeinden in ihren Stellungnahmen erwähnt wird. «Bei Führungspositionen ist der Markt sicherlich schwieriger als bei Stellen mit geringerer Verantwortung», teilt die Gemeinde Mendrisio mit. Und auch Locarno stellt fest: «Die grössten Schwierigkeiten haben wir, wie sich leicht vorstellen lässt, in den mittleren und höheren Positionen der Verwaltung und der kommunalen Dienste.» Davide Conca, Gemeindeschreiber von Capriasca, nennt noch andere Bereiche: «Ich will nicht verheimlichen, dass es manchmal schwierig ist, Gemeindepolizisten und Lehrer zu finden.»

Es ist schwierig, Gemeindepolizisten und Lehrer zu finden.

Davide Conca, Gemeindeschreiber Capriasca

Kleine Gemeinden können keine hohen Löhne bezahlen

Gerade kleine und finanzschwache Gemeinden sind nicht in der Lage, hohe Saläre zu bezahlen. Hoch qualifizierte Fachkräfte treffen in der Privatwirtschaft zumeist höhere Löhne an, daher sind sie nicht bereit, in einer Gemeindeverwaltung für geringere Löhne zu arbeiten. Die Gemeindefusionen, die im Tessin in den letzten Jahren in grossem Umfang erfolgt sind, dienen auch dazu, die Finanzkraft von Gemeinden zu stärken.

Die Vergabe von externen Mandaten wird praktisch in allen Gemeinden gehandhabt, wenn spezifische Anliegen im Spiel sind, beispielsweise bei Raumplanungsangelegenheiten, komplizierten Baubewilligungen, IT-Lösungen oder auch juristischen Gutachten. Eine Auslagerung von Alltagsgeschäften ist hingegen nicht an der Tagesordnung.

Bei den Möglichkeiten, Fachkräfte zu finden, wird in der Regel auf die gängigen Kanäle verwiesen, das heisst Stellenausschreibungen über den Gemeindeaushang, das Amtsblatt oder Zeitungsinserate. Doch reicht das? Locarno ist der Ansicht, dass die Gemeinde mehr «proaktive Möglichkeiten» haben sollte, ähnlich, wie das in der Privatwirtschaft der Fall sei. Losone verweist darauf, dass gelegentlich mangels einer ausreichenden Anzahl von Bewerbungen das Zeitfenster für Stellenausschreibungen verlängert werden musste: «In bestimmten Fällen mussten wir die Auswahlverfahren neu ausschreiben, um ein grösseres Zeitfenster für Bewerbungen zu ermöglichen.»

Wettstreit um die besten Fachkräfte?

Auch wenn die aktuelle Lage nicht kritisch zu sein scheint, zeigen sich gewisse Wolken am Horizont. So hält etwa Valerio Soldini, Gemeindeschreiber von Comano, fest: «Ich kann meinerseits darauf hinweisen, dass es im Tessin viele Gemeinden gibt, deren Gemeindeschreiber kurz vor der Pensionierung stehen, und dass die Gefahr besteht, dass es einen Wettstreit um die besten Kräfte gibt. Einige Verwaltungen könnten auf dem Trockenen bleiben. Ausserdem können wir jetzt schon feststellen, dass einige Kollegen von einer zur anderen Gemeinde wechseln.» In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag zu hören, die Ausbildung von Gemeindeschreibern jedes Jahr anzubieten, nicht nur alle zwei Jahre.

Es könnte einen Wettstreit um die besten Kräfte geben.

Valerio Soldini, Gemeindeschreiber Comano

Das Tessin hat als einziger Kanton mit italienischer Amtssprache das Problem, nur in sehr geringem Umfang bei der Rekrutierung von Personal auf die anderen Landesteile ausweichen zu können. Tatsächlich hat nur Chiasso explizit erwähnt, sich zumindest bei der Vergabe von einzelnen Aufträgen oder Expertisen auch «oltre Gottardo» umzusehen, das heisst in der deutschen oder französischen Schweiz.