Das Potenzial von älteren Menschen vor Ort nutzen
Freiwilliges Engagement ist für die Gemeinden eine wichtige Ressource. Angesichts des demografischen Wandels wird der älteren Bevölkerungsgruppe dabei mehr Bedeutung zukommen. Das Projekt «Plus 65» erörtert ihr Potenzial.
Der demografische Wandel in der Schweiz ist in vollem Gang. Der Anteil an älteren Personen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen und wird weiter zunehmen. Unbestreitbar bringt dies Herausforderungen mit sich. Jedoch wäre es falsch, nur die Negativseiten einer solchen Entwicklung zu betrachten. Die positiven Seiten sollten nicht ausser Acht gelassen werden: Es gibt immer mehr körperlich und geistig leistungsfähige ältere Personen in der Schweiz. Und diese verfügen über das wertvollste Kapital, das es gibt: Zeit – gerade für Gemeinden ist dies ein grosses Potenzial, über das es sich lohnt, sich strategische Gedanken zu machen.
Gemeinde im Fokus
Studien zeigen, dass Seniorinnen und Senioren eine wichtige Stütze im zivilgesellschaftlichen Engagement darstellen – die Rolle der Gemeinde als Ermöglicherin und Förderin wurde diesbezüglich jedoch kaum untersucht. Mit dem von der Fachhochschule Graubünden zusammen mit Pro Senectute durchgeführtem Forschungsprojekt «Plus 65» wurden erstmals schweizweit Seniorinnen und Senioren zu ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement und ihrer Einschätzung zu den kommunalen Massnahmen befragt. Dabei wurde eine schweizweite repräsentative Befragung von rund 580 Personen im Alter von 55 bis 85 Jahren durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen ein erfreuliches Bild: Die Befragten fühlen sich sowohl gesellschaftlich als auch politisch gut in ihrer Wohngemeinde integriert. Etwas überraschend ist die hohe Anzahl an Engagierten – über alle Teilnehmenden sind dies 48 Prozent. Dieser Anteil geht mit fortschreitendem Alter nur unwesentlich zurück und zeigt das hohe Potenzial an verfügbarem Humankapital in den Gemeinden deutlich auf.
Beliebte Nachbarschaftshilfe, unbeliebtes politisches Amt
Als zukünftig gewünschtes Engagement sind bei den Befragten vor allem die Mitwirkung bei Nachbarschaftshilfen, die administrative Unterstützung von anderen Personen und die Mitarbeit in generationsverbindenden Projekten auf Anklang gestossen. Als zukünftiges Engagement am unbeliebtesten schätzen die befragten Seniorinnen und Senioren das politische Amt in der Gemeinde ein. Dies zeigt einmal mehr die Schwierigkeit der Ressourcenmobilisierung für das politische Milizsystem deutlich auf. In der Altersgruppe der 65- bis 85-Jährigen üben weniger als fünf Prozent ein politisches Amt auf Gemeindestufe aus und kaum jemand ein solches auf regionaler oder kantonaler Ebene. Dies widerspricht dem in Medien und Öffentlichkeit vorherrschenden Narrativ der Überalterung in der Politik. Hingegen zeigt sich: Die Zukunftsgestaltung als Motiv ist auch bei der ältesten Befragungsgruppe der 75- bis 85-Jährigen stark ausgeprägt und nur wenig tiefer als bei der jüngsten Befragungsgruppe der 55- bis 64-Jährigen.
Wenig Wissen zur Alterspolitik
Lediglich zwölf Prozent der Befragten zeigen sich (sehr oder eher) unzufrieden mit der Alterspolitik ihrer Wohngemeinde. Dies stellt den Bemühungen der Gemeinden grundsätzlich ein gutes Zeugnis aus. Die Verteilungen sind sowohl zwischen den Altersgruppen als auch zwischen den Geschlechtern sehr ähnlich. Hinsichtlich der einzelnen Instrumente der Alterspolitik herrscht hingegen grosse Unwissenheit. Eine Mehrheit von rund zwei Dritteln weiss nicht, ob es in ihrer Wohngemeinde ein Altersleitbild und/oder eine/n Altersbeauftragte/n gibt. Zwar nimmt dieser Anteil an Nichtwissenden bei steigendem Alter etwas ab, aber auch in der ältesten Kohorte der 75- bis 85-Jährigen wissen bei beiden Instrumenten immer noch knapp über 50 Prozent der Befragten nicht, ob ein solches Instrument in ihrer Wohngemeinde existiert. Hier zeigt sich, dass die Gemeinden hinsichtlich der Kommunikation ihrer Alterspolitik noch Entwicklungspotenzial haben.
Weiterentwicklung der Alterspolitik
Die Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die Gemeinden ihre Rolle in der Alterspolitik kreativer und mit einem potenzialorientierteren Blick hinsichtlich der älteren Einwohnerschaft ausrichten sollten (zum Beispiel mit Arbeitsgruppen, zielgruppengerechter Ansprache, Events, digitalen Tools). Engagementsformen in der Gemeinde müssen angepasst und individualisiert werden, um den Anforderungen an flexible und zeitlich befristete Engagements der Ü65-Jährigen gerecht zu werden. Mit einer verbesserten Kommunikation der vorhandenen Massnahmen könnten die Gemeinden ihre Alterspolitik auch breiter abstützen. Idealerweise regen Seniorinnen und Senioren auch andere Gesellschaftsgruppen zu einem stärkeren politischen Engagement an und werden dadurch zu Multiplikatoren. Dieser Brückenschlag soll Generationenbeziehungen in den Gemeinden stärken.
Toolbox zur Unterstützung
Im Rahmen des Projektes wurde eine Toolbox mit Workshop- und Methodikmaterial entwickelt. Diese unterstützt die Gemeinden entlang von vier Workshops mit Methodik und Wissen bei der Entwicklung von konkreten Massnahmen. Die Toolbox ist für die Öffentlichkeit kostenlos zugänglich und soll vor allem kleinere und mittlere Gemeinden bei der Weiterentwicklung ihrer Alterspolitik unterstützen. Die Studie und die Toolbox können bei der FH Graubünden unter plus65.fhgr.ch oder direkt bei den Autoren bestellt werden.