Der Herbst ist die Zeit der Erntedankfeste.

Das «Fest der Feste»: Zukunft braucht Herkunft

13.08.2022
7-8 | 2022

Am «Fest der Feste» im Freilichtmuseum Ballenberg vereinigen sich 15 regionale Feste und Herbsttraditionen aus allen Landesteilen. Eines davon ist «La Saint-Martin» aus der Ajoie im Kanton Jura.

Zahlreiche Herbstfeste in vielfältigen Formen werden in der Schweiz gefeiert. Ihr gemeinsamer Kern: Zusammen geniessen und den Erntesegen feiern. Im Zentrum steht meist ein Produkt, das in Landwirtschaft und Ernährung der Region eine besondere Rolle spielt. So wird im Tessin und in den Bündner Südtälern mit der Castagnata eine erfolgreiche Kastanienernte gefeiert, während an den Trottenfesten in der Ostschweiz und an den Westschweizer Fêtes des vendanges das Einfahren der Traubenernte zelebriert wird.

Lebendige kulinarische Traditionen

Viele dieser Traditionen wurzeln tief in der Vergangenheit, werden aber auch heute intensiv gepflegt. Ein besonders lebendiges Beispiel ist La Saint-Martin in der Ajoie, dem nordwestlichen Zipfel des Kantons Jura. Am Wochenende um den Sankt-Martins-Tag (11. November) steht in vielen Restaurants des Städtchens Porrentruy und der umliegenden Dörfer ein spezielles Menü auf dem Programm. Es besteht aus mehreren Gängen, die je nach Lokal in vielerlei Variationen zubereitet werden, jedoch immer auf Schweinefleisch basieren. Dazu zählen Gemüsesuppe mit Siedfleisch, Blutwurst, Gelée de ménage (Sülze mit Fleisch) sowie Sauerkraut mit Schinken, frischem Schweinefleisch und Saucisse d’Ajoie (mit Kümmel gewürzte geräucherte Schweinswurst).

Nicht weniger als acht Gänge umfasst das Festessen. Der ländlichen Tradition entsprechend handelt es sich auch bei den Zwischen- und Abschlussgängen durchwegs um deftige Köstlichkeiten. So werden zum Dessert salzige Rahmkuchen namens Totché oder Striflates – Krapfen mit Vanillecreme – serviert.

Verwertung «from nose to tail»

Die üppige Speisenfolge hängt mit einem bedeutenden Einschnitt im traditionellen landwirtschaftlichen Jahreszyklus zusammen: Am Martinstag wurden früher die Zinsen für die Pacht des Bodens bezahlt und die Schulden beglichen. Die gesamte Ernte war nun eingefahren, die Speicher und Vorratskammern waren gefüllt, die Löhne für das Gesinde ausbezahlt. Im Stall standen wohlgenährte, fette Schweine – was zwar erfreulich, zugleich aber auch ein Problem war, denn anders als heute gab es weder Futter noch Geld, um alle Tiere den Winter hindurch zu halten.

Deshalb wurde auf den Martinstag hin vielerorts ein Schwein geschlachtet. Ein Teil des Fleisches liess sich durch Pökeln und Räuchern haltbar machen. Jene Teile hingegen, die nicht lange aufbewahrt werden können, kamen sogleich auf den Tisch. Dazu gehört etwa Blutwurst; sie ist ein Frischprodukt, das es rasch zu konsumieren gilt. Auf diese Weise konnte das Schwein nahezu restlos verwertet werden – heute nennt man diese Praxis «from nose to tail» (von der Schnauze bis zum Schwanz). Das neuzeitliche Phänomen von Food Waste war damals somit kein Thema.

Feiern in der Gemeinschaft

Die Verwertung gestaltete man jedoch nicht nur als nüchterne Notwendigkeit, sondern machte sie zum feierlichen Anlass: Am Tag des heiligen Martin durfte geschlemmt werden, denn danach begann das vorweihnachtliche Fasten. Und gibt es etwas Schöneres, als ein solches Festessen mit anderen Menschen zusammen zu geniessen? Aus dieser Konstellation entwickelte sich La Saint-Martin, auch «La fête du cochon» genannt.

Die Zeiten haben sich geändert, die Landwirtschaft nimmt in der heutigen Gesellschaft einen weniger zentralen Raum ein als in früheren Zeiten, auch in der Ajoie. Doch die herbstliche Festtradition ist dort noch immer vital und ungebrochen: Um den Martinstag herum trifft man sich mit der Familie, mit Freunden und Nachbarn, um in der Gemeinschaft zu feiern.

Herbsttraditionen im Freilichtmuseum

Diesen Herbst lässt sich La Saint-Martin nicht nur im Kanton Jura, sondern auch in der Deutschschweiz erleben, etwas früher sogar als zum traditionellen Termin im November: Im Freilichtmuseum Ballenberg findet an den Wochenenden vom 24./25. September und 1./2. Oktober 2022 mit dem «Fest der Feste» das grösste Erntedankfest der Schweiz statt. Der Anlass steht unter dem Motto «Zukunft braucht Herkunft» und bündelt Herbsttraditionen aus allen Landesteilen der Schweiz (siehe Kasten). Auf einem der 15 Festplätze ist die Ajoie vertreten. Dort lässt sich ein Auszug aus dem achtgängigen Menü geniessen, wie es traditionellerweise an einem «La Saint-Martin en Ajoie» auf den Tisch kommt.

Das «Fest der Feste» vereinigt 15 regionale Herbstfeste an einem Ort

An den Wochenenden vom 24./25. September und 1./2. Oktober 2022 lädt das Freilichtmuseum Ballenberg zum «Fest der Feste» ein. 15 gedeckte Festplätze unter freiem Himmel sind auf den Wiesen und Plätzen des weitläufigen Museumsgeländes verteilt. Dörfer und Städte, Alpgenossenschaften, Berufsorganisationen und Vereine geben Einblick in ihr Festbrauchtum und ihre Herbsttraditionen. Die Besucherinnen und Besucher können das kulinarische und kulturelle Erbe der Schweiz mit Speis und Trank, Musik und Tanz, Märkten und Workshops erleben.

An der Grossveranstaltung trifft eine Vielfalt von spannenden Traditionen aufeinander. Dazu gehören etwa die Obwaldner Älplerchilbi, die Freiburger Bénichon oder die Tessiner Festa d’Autunno. Als Mehrgenerationenerlebnis bietet das «Fest der Feste» nicht nur reichhaltige kulinarische Genüsse, sondern will auch zur Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen der Landwirtschaft und Ernährung anregen. Zusammen mit Produzentinnen und Produzenten sowie Fachleuten aus Wissenschaft und Forschung organisieren die Festveranstalter Workshops und Ausstellungen zu Themen wie Herstellung und Veredelung, Genuss und Ressourcen, Lebensraum und Nachhaltigkeit.

Andreas Staeger
Freilichtmuseum Ballenberg

Informationen:

Als Partner des «Fests der Feste» bietet der Schweizerische Gemeindeverband sämtlichen Gemeindeangestellten und allen Mitgliedern der kommunalen Exekutiven einen Rabatt in der Höhe von 25 Prozent auf den Eintrittspreis an. Wählen Sie dafür im Ticketportal die Art und Anzahl Ihrer gewünschten Tagespässe aus, klicken Sie auf «Tickets reservieren», und geben Sie den Code fdfgemeinden22 ein.

Weitere Infos: www.festderfeste.ch