Brachliegendes Potenzial im Boden
Der Boden unter unseren Füssen ist nicht nur für Landwirte oder Biologen von Interesse. Die Informationen, die in ihm schlummern, sollten auch bei der Raumplanung Berücksichtigung finden.
Wer sich nicht gerade beruflich damit beschäftigt, macht sich gemeinhin nicht allzu viele Gedanken über unsere Böden. Dabei erbringen die Böden, die sich in der Schweiz vor allem seit der letzten Eiszeit vor über 10’000 Jahren gebildet haben, zahlreiche wichtige Leistungen für unsere Gesellschaft: Der Boden ist die Basis unserer Nahrungsmittelversorgung, reguliert den Wasserhaushalt, prägt das Klima und stellt Lebensraum für Fauna und Flora dar. So fliesst die Beschaffenheit des Bodens letztlich gar in raumplanerische Überlegungen von Gemeinden und Kantonen mit ein – oder zumindest sollte sie das.
Allerdings: «Im Vergleich zu Wasser oder Wald ist unser Boden nach wie vor eine etwas stiefmütterlich behandelte Ressource», sagt Marion Wallner. Sie ist beim Kompetenzzentrum Boden der Berner Fachhochschule – dem sogenannten KOBO in Zollikofen – für die Kommunikation verantwortlich.
Tatsächlich sind flächendeckende Bodeninformationen, die den Schweizer Boden in seinem Aufbau und seiner Qualität beschreiben, erst an wenigen Standorten verfügbar. Gerade einmal 13 Prozent der Landwirtschaftsfläche sind bislang in ausreichender Qualität kartiert. Ein Prozentsatz, der deutlich höher liegen dürfte, bieten Bodenkarten den Gemeinden und Kantonen doch zahlreiche wertvolle Entscheidungsgrundlagen.
Im Einsatz für eine effizientere Bodenkartierung
Deutlich wird dies etwa beim freiburgischen Projekt Chamblioux-Bertigny, wo zwischen den Gemeinden Granges-Paccot und Villars-sur-Glâne ein neues, urbanes Zentrum entstehen soll. In diesem Gebiet testet das KOBO als nationale Fachstelle zuhanden von Bund und Kantonen neue Kartierungsmethoden und erstellt dabei Bodenkarten.
Die Bodenkarten des KOBO sollen den Verantwortlichen dabei helfen, zu eruieren, wie sie die Leistungen des Bodens optimal nutzen können. «So wird das Thema Bodenqualität schon frühzeitig in den raumplanerischen Entscheidungsprozess einbezogen», sagt Marion Wallner.
«Im Vergleich zu Wasser oder Wald ist unser Boden nach wie vor eine etwas stiefmütterlich behandelte Ressource.»
Und ihre Kollegin, die Pedologin – Fachjargon für Bodenkundlerin – Dr. Lucie Greiner, ergänzt: Ziel des KOBO sei es, die fachlich-methodische Weiterentwicklung der Bodenkartierung und der Auswertungen für verschiedene Fragestellungen voranzutreiben, damit diese in Zukunft rascher und günstiger vonstattengehen könne.
Dafür testet das Kompetenzzentrum aktuell ein eigens entwickeltes Bohrfahrzeug, das Bodenproben bis in eine Tiefe von rund anderthalb Metern entnehmen kann. Daneben kommen auch spektroskopische Analysemethoden von Bodeneigenschaften zum Einsatz. Sie erlauben es, Bodeneigenschaften wie Humusgehalt, Korngrösse oder pH-Wert zeit- und kosteneffizient zu bestimmen.
Landwirtschaftsfläche oder Schutzgebiet?
Sind diese Parameter und Eigenschaften einmal bekannt, erleichtern sie den zuständigen Behörden die Planung und die zielgerichtete Nutzung des Bodens ebenso wie den Bauern eine nachhaltige Bewirtschaftung der Böden. Dies umfasst in vielen Regionen der Schweiz beispielsweise auch die Bewässerung beziehungsweise die Trockenheit der Böden.
In vielen Kantonen besonders aktuell ist derzeit etwa die Frage nach den Fruchtfolgeflächen beziehungsweise deren Kompensation bei Bauvorhaben. Als Beitrag zur Versorgungssicherheit ist jeder Kanton verpflichtet, eine gewisse Fläche der besten ackerfähigen Böden, die Fruchtfolgeflächen, zu erhalten. Gleichzeitig sind die Behörden aber auch daran interessiert, einen gewissen Anteil an Böden aus ökologischen Gründen zu schützen oder Böden mit hoher Filterfunktion für Grundwasserschutzzonen auszuweisen.
Unter Berücksichtigung der bodenkundlichen Eigenschaften im Gebiet arbeitet das KOBO im bernischen Diemerswil etwa daran, Karten zum Wasser- und Nährstoffspeichervermögen der Böden zu erstellen. Liegen diese vor, lässt sich ableiten, wie gut ein Boden Nährstoffe speichern, filtern oder transformieren kann. Dies schliesst auch den Humus der Böden ein. So kann beispielsweise die landwirtschaftliche Produktionsintensität auf den jeweiligen Standort angepasst und können übersteigerte Nährstoffeinträge in Gewässer verhindert werden. «Bodenschutz heisst immer auch Gewässerschutz», zitiert Marion Wallner ein Bonmot unter Bodenkundlern.
«Eine Gefahrenkarte, die die Dimension Boden ebenfalls beinhaltet, bietet immer ein vollständigeres Bild.»
Ob Hochwasser oder Klimaerwärmung: Der Boden ist ein Multitalent
Gemeinden und Kantone erhalten mit den Bodenkarten aber auch wichtige Informationen punkto Schutz vor Naturgefahren, namentlich vor Hochwassern. So kann ein tiefer, versickerungsfähiger Boden wie ein riesiger Schwamm wirken und grosse Wassermengen absorbieren. Sind sich Behörden dessen bewusst, werden sie die Bodeninformationen vielleicht nutzen, um gezielt die Ausweisung von Bauzonen beziehungsweise die Versiegelung von Böden zu steuern. «Eine Gefahrenkarte, die die Dimension Boden ebenfalls beinhaltet, bietet immer ein vollständigeres Bild», sagt Dr. Lucie Greiner dazu.
Ein weiterer Parameter, der aufgrund der Klimaerwärmung gerade in den Städten zunehmend wichtiger wird, ist die Fähigkeit von Böden, die Luft durch Verdunstung abzukühlen. Ist sich ein Gemeinderat bewusst, welche Böden besonders kühlende Eigenschaften haben, kann er damit der Entstehung von Hitzeinseln besser vorbeugen.
«Klar, es hängt immer auch von der Wertehaltung und von den vorhandenen Ressourcen ab. Persönlich denke ich aber, dass in den Gemeinden das Interesse für die Böden und ihre wichtigen Dienstleistungen für uns Menschen vorhanden ist», sagt Dr. Lucie Greiner. Was sie aber auch weiss: Schreiten die Bodenkartierungen im selben Tempo voran wie bis anhin, wird es noch mehrere Generationen dauern, bis die landwirtschaftlichen Flächen und die Waldböden der Schweiz systematisch kartiert sind.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass es für viele Gemeinden und Kantone noch keine Bodendaten gibt, die sie in ihre Richt- und Nutzungspläne miteinbeziehen können. Auch deshalb nimmt das KOBO, ebenso wie einige Kantone zusammen mit privaten Ingenieurbüros, laufend neue Projekte in Angriff. Nicht (nur), um neue Bodendaten zu erhalten, sondern vor allem, um die heutigen Methoden zu erneuern, zu verbessern und zu beschleunigen. Langfristiges Ziel ist es, dass alle Kantone und Gemeinden bei der Abwägung von Nutzungsinteressen die Qualität der Böden in ihren Richt- und Nutzungsplänen berücksichtigen können.