«Beschaffende können viel bewirken»
Eine neue Toolbox zur nachhaltigen Beschaffung hilft dabei, ökologisch und sozialverträglich zu beschaffen. Beschaffungsexpertin Eva Hirsiger erklärt, worauf es ankommt und wieso Merkblätter eine wichtige Unterstützung sind.
Aktuell entsteht die «Toolbox nachhaltige Beschaffung Schweiz» auf der Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB). Worum geht es dabei?
Eva Hirsiger: Vor der Gesetzesrevision stellte der Bund vor allem Informationen zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung für Beschaffende auf Bundesebene bereit. Für Kantone und Gemeinden gab es verschiedene Hilfsmittel in den unterschiedlichen Sprachräumen. Mit der Revision und der Harmonisierung des Beschaffungsrechts entstand das Bedürfnis nach einer zentralen Plattform mit Informationen für alle Ebenen, auch für die Kantone und Gemeinden. Deshalb gibt es nun die Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB), für die Pusch zusammen mit dem Beratungsbüro Abeco und den Kantonen Waadt und Genf die «Toolbox nachhaltige öffentliche Beschaffung» erarbeitet.
Die Inhalte der Toolbox basieren auf den beiden bisherigen Beschaffungsplattformen «Kompass Nachhaltigkeit» und «Guide des achats professionnels responsables». Wir bringen die Informationen nun im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) auf den neusten Stand und veröffentlichen die überarbeiteten Merkblätter und Informationen in den nächsten Monaten Schritt für Schritt auf der WöB. So finden Beschaffende alle Infos zentralisiert und in drei Landessprachen auf einem Portal.
Was dürfen Beschaffungsverantwortliche von der Toolbox konkret erwarten?
Hirsiger: Einerseits finden sie darin wichtige Hintergrundinformationen. Also beispielsweise, was nachhaltige Beschaffung überhaupt bedeutet, wie eigene Richtlinien bei der Umsetzung helfen können oder was «Total Cost of Ownership» (TCO) heisst.
Andererseits stehen in der Toolbox Merkblätter zu verschiedenen Produktgruppen zur Verfügung, die für Beschaffende der öffentlichen Hand relevant sind. Die Merkblätter zeigen, mit welchen ökologischen und sozialen Problemen die Herstellung eines bestimmten Produkts verbunden sein kann und wie man stattdessen ökologisch und sozialverträglich beschafft. Dazu liefern wir Tipps für die Direktvergabe, aber auch konkrete, juristisch überprüfte Textbausteine für die Ausschreibung.
Wie helfen Merkblätter konkret im Beschaffungsprozess?
Hirsiger: Sagen wir, eine Gemeinde braucht ein neues Fahrzeug und möchte eine nachhaltigere Variante wählen. Dann findet die dafür verantwortliche Person im Merkblatt zur Fahrzeugbeschaffung Anhaltspunkte und Informationen zu den Nachhaltigkeitskriterien. Das heisst, sie weiss nachher, auf welche Aspekte sie beim Kauf achten muss und wo sie den grössten Hebel hat. Häufig fehlt das detaillierte Fachwissen, zum Beispiel zur Ökobilanz verschiedener Fahrzeugtypen. Aber das wird auch nicht erwartet, genau dafür gibt es solche Merkblätter. Es geht darum, zu lernen, welches die wichtigsten Hebel sind – über die Lebensdauer eines Produkts hinweg betrachtet. Bei einem Fahrzeug ist zum Beispiel die Nutzungsdauer deutlich relevanter als das Material der Sitze. So zeigen die Merkblätter auf, welche Kriterien in der Ausschreibung am wichtigsten sind.
Ein gutes Beispiel ist auch die Beschaffung von Verpflegungsdienstleistungen: Die Saisonalität oder die Verpackung von Lebensmitteln fallen in der Ökobilanz weniger ins Gewicht als viele denken. Ein vegetarisches Menü, das keine eingeflogenen Produkte enthält, schneidet deutlich besser ab – vor allem, wenn zusätzlich gute Food-Save-Massnahmen umgesetzt werden. Solche Erkenntnisse möchten wir auch mit Praxisbeispielen aus anderen Gemeinden vermitteln. Die Beschaffenden können so voneinander lernen, auch aus den Fehlern.
Sind Beschaffende heute, vielleicht aus Angst vor Fehlern, noch zu vorsichtig mit Forderungen nach nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen?
Hirsiger: Die Beschaffung ist tatsächlich schon ohne Nachhaltigkeitsaspekte sehr komplex. Ausschreibungen sind herausfordernd und aufwendig. Man möchte natürlich Fehler vermeiden und sich auf keinen Fall angreifbar machen. Nachhaltigkeitskriterien können also noch eine zusätzliche Herausforderung sein. Ausserdem fehlt häufig das Bewusstsein dafür, wie wichtig die nachhaltige Beschaffung ist. Viele kleinere Gemeinden sehen sich eher als unwichtigere Player, die keinen grossen Hebel haben. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Egal, wie gross oder klein eine Gemeinde ist, Beschaffende können mit wenigen Anpassungen in der Ausschreibung viel mehr bewirken, als sie denken.
Wichtig ist, sich nicht einen allzu grossen Druck zu machen. Ein Produkt muss nicht bis ins letzte Detail 100 Prozent nachhaltig sein. Es ist bereits ein Gewinn, wenn die Ausschreibung die wichtigsten sozialen Aspekte abdeckt und zwei, drei relevante Anforderungen betreffend die Ökobilanz enthält.
Städte und Gemeinden sind sehr verschieden, haben unterschiedliche Bedürfnisse und Ausgangslagen. Was können sie in der Beschaffung konkret voneinander abschauen?
Hirsiger: Beispiele aus dem Alltag anderer Gemeinden zeigen, was heute schon möglich ist, was bereits gemacht wurde und wie weit man gehen kann. Das kann motivieren oder vielleicht auch einfach eine neue Idee bieten. Insbesondere Beispiele aus kleineren Gemeinden sind dafür sehr wichtig. Sie zeigen, dass kleine Schritte schon viel bewirken können. Und das Vorgehen anderer lässt sich durchaus auf die eigenen Bedürfnisse adaptieren, wenn man weiss, worauf man bei der Ausschreibung achten muss.
Uns ist aber auch wichtig, Beispiele zu zeigen, die nicht nur nachhaltigere neue Produkte einkaufen, sondern die sich auch mal für einen ganz anderen Weg entschieden haben. Der Kanton Basel-Stadt beispielsweise hat beim Umzug in ein neues Verwaltungsgebäude nicht alle Möbel neu gekauft, sondern liess einen Teil der alten Büromöbel umbauen und an die veränderten Bedürfnisse anpassen. Bei einer Produktgruppe wie den Möbeln ist aus ökologischer Sicht die Lebensdauer einer der wichtigsten Aspekte.
Lebensdauerverlängernde Massnahmen sind also auch eine nachhaltige Entscheidung.
Kleine Schritte können schon viel bewirken.
Welche Produkte und Dienstleistungen beschäftigen Beschaffende mit Blick auf die Nachhaltigkeit am meisten?
Hirsiger: Die Erfahrungen zeigen, dass vor allem bei Fahrzeugen, der Verpflegung, bei Textilien, Papier, Holzwaren und Reinigungsmitteln an Nachhaltigkeitsaspekte gedacht wird. Bei Möbeln zum Beispiel ist das Bewusstsein dafür noch tiefer. Aber egal, welche Produktgruppe − es lohnt sich, vor der Ausschreibung die nötigen Informationen beizuziehen und sich von Beispielen anderer Gemeinden inspirieren zu lassen.
Hilfsmittel für die nachhaltige Beschaffung
Die Wissensplattform nachhaltige Beschaffung (WöB) ist ein Produkt der Fachgruppe Nachhaltige Beschaffung des Bundes (BKB), in der seit 2017 in breiter Zusammensetzung auch Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden und Städte mitwirken. Der Schweizerische Gemeindeverband, der Schweizerische Städteverband sowie der Schweizerische Verband Kommunale Infrastruktur begrüssen die mit der WöB verbundenen Ziele sehr, eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen, die aktuelle Informationen und Instrumente zum Thema nachhaltige Beschaffung aller föderaler Ebenen gebündelt und zentral an einem Ort zugänglich machen möchte. Seit dem 1. September 2020 ist die WöB online und soll in der bewährten Zusammenarbeit nun auch gemeinschaftlich als tripartit getragene Plattform weiterentwickelt werden.
Um die Harmonisierung des Beschaffungsrechts auch in der Umsetzung zu gewährleisten, erarbeiten Bund, Kantone, Städte und Gemeinden den gemeinsamen Beschaffungsleitfaden TRIAS. Der Leitfaden soll als schlankes und praxistaugliches Instrument mit einem massvollen Detaillierungsgrad aufgebaut sein.
Die paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe hat als Erstes Faktenblätter zum gemeinsamen Beschaffungsleitfaden erstellt. Die Faktenblätter greifen neue Themen des Beschaffungsrechts auf und sollen die Beschaffungsstellen beim Vollzug unterstützen. Sie sind seit Ende Oktober verfügbar auf: www.chgemeinden.ch/de/newsroom/beitrag/Faktenblaetter-TRIAS.php
In einem zweiten Schritt wird der eigentliche Beschaffungsleitfaden erstellt. Der Leitfaden TRIAS versteht sich als Einstiegsinstrument, der die öffentlichen Beschaffungsstellen durch den Beschaffungsprozess führt und sie im Vollzug unterstützt. Der Leitfaden wird in der zweiten Hälfte 2022 verfügbar sein.
Auch die Stiftung Pusch bietet Städten und Gemeinden vielfältige Unterstützung, damit sie Nachhaltigkeitsaspekte in der öffentlichen Beschaffung korrekt und zielführend berücksichtigen können.
Begleitung: Gemeinden können in Beschaffungsrichtlinien Grundsätze für ihre Beschaffungen definieren und konkrete Einkaufsempfehlungen für ausgewählte Produktegruppen formulieren. Das hilft den Beschaffenden und sorgt für Einheitlichkeit und Transparenz. Pusch berät und unterstützt bei der Bedürfnisabklärung und Erstellung oder Anpassung der Beschaffungsrichtlinien.
Weiterbildung: Pusch unterstützt Gemeinden mit Grundkursen, Online-Seminaren und Erfahrungsaustausch dabei, ihre Kompetenzen in der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung zu stärken.
Nachhaltigkeitslabels und -standards: Studien zeigen, dass Labels und Standards einen massgeblichen ökologischen und sozialen Mehrwert leisten. «Labelinfo.ch» bietet hier eine gute Übersicht.
Praxisbeispiele: Pusch porträtiert regelmässig Gemeinden, die sich mit nachhaltiger öffentlicher Beschaffung auseinandersetzen. Solche Beispiele inspirieren und liefern Anhaltspunkte, wie das Thema angepackt und umgesetzt werden kann.
Tagung im Mai
Am 10. Mai 2022 findet die zweite Tagung «Nachhaltige öffentliche Beschaffung» statt. Der Fokus soll sich dieses Mal auf Kantone und Gemeinden richten. Details zur Veranstaltung werden folgen.
Pusch/Red. «Schweizer Gemeinde»
www.woeb.swiss
www.bpuk.ch/bpuk/konkordate/ivoeb/trias
www.pusch.ch