Barrieren abbauen für vulnerable Jugendliche
Im Jugendtreff von Moutier (BE) erhalten Jugendliche unkompliziert Hilfe, wenn es ihnen psychisch nicht gut geht. Ein multidisziplinäres Team ermöglicht das niederschwellige Angebot und erhielt dafür den Preis «Gesunde Stadt».
Kinder und Jugendliche sind psychisch stark belastet: Das zeigte erst kürzlich eine alarmierende Studie von Pro Juventute. Besonders Beratungen wegen Depressionen, Suizidgedanken und Ängsten nehmen zu. Da ist es bezeichnend, dass sich gleich zwei der drei Preisträgerinnen der Auszeichnung «Gesunde Stadt – Gesunde Gemeinde 2023» um die Anliegen der Jugendlichen kümmern: Die Gemeinde Beromünster (LU) hat mehrere Projekte umgesetzt, nachdem sie eine Bedürfnisanalyse mit den Jugendlichen aus der Gemeinde durchgeführt hatte. In der SGV-Mitgliedergemeinde Moutier (BE) läuft bereits seit Längerem ein Projekt zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen, das hier näher vorgestellt werden soll. Dritte Preisträgerin ist die Stadt Genf, die ein Projekt zur Förderung der Bewegung bei älteren Menschen umgesetzt hat (siehe Kasten).
Im Zentrum des Projekts in Moutier steht der Jugendraum des «Service de la jeunesse et des actions communautaires» (SeJAC). Dieser ist von Dienstag bis Freitag jeweils nachmittags nach der Schule geöffnet. Die Jugendlichen müssen sich nicht anmelden oder Ähnliches – sie können kommen und gehen, wie sie wollen. Der Jugendraum ist zweckmässig, aber gemütlich eingerichtet: Es gibt mehrere einladende Sofas, einen Tischtennistisch, einen «Töggelikasten» und einen Billardtisch. Was die Jugendlichen dort machen und wie sie den Raum gestalten, entscheiden sie selbst.
Ein dritter Raum für die Jugendlichen
«Der Jugendraum ist ein dritter Raum neben der Schule und der Familie. In der Schule und in der Familie sind die Jugendlichen in ihren Wahlmöglichkeiten stark eingeschränkt, es gibt viele Regeln. Bei uns gibt es kaum Regeln, und die Jugendlichen können frei wählen, wie sie ihre Zeit verbringen», erklärt Nicolas Mangold. Er ist soziokultureller Animator im Zentrum und damit beteiligt am Projekt «Psychische Gesundheit – Mit einem praxisorientierten Ansatz den Zugang zu Leistungen für alle gewähren».
Das Projekt wird von einem multidisziplinären siebenköpfigen Team getragen, das den Erfolg des Ansatzes ausmacht. Dazu gehören neben Nicolas Mangold auch Silvère Ackermann, soziokultureller Animator und Dienstchef, Zélie Zuend, soziokulturelle Animatorin, Qendresa Latifi, Psychologin und soziokulturelle Animatorin, die beiden kommunalen Gesundheitsfachfrauen Maulde Studer und Fátima Marques sowie die Praktikantin Elise Vallat. Entstanden ist diese Konstellation, weil der Kanton Bern vor rund zehn Jahren beschlossen hat, die Pflegefachpersonen an der Schule abzuschaffen. Moutier hat diese anschliessend in die Gemeindestrukturen übernommen, und der SeJAC ist entstanden.
Keine weitere Schwelle
Das Team betont, wie wertvoll diese disziplinenübergreifende Kooperation ist. «Sie ermöglicht es uns, den Jugendlichen in vielen verschiedenen Bereichen weiterzuhelfen – und sie nicht einfach an eine weitere Dienststelle weiterzuleiten», erklärt Silvère Ackermann. Das sei wichtig, weil viele der Jugendlichen, die das Zentrum aufsuchen, einen vulnerablen Hintergrund haben. Das heisst, mehrere Probleme kommen bei ihnen zusammen, zum Beispiel instabile Familienverhältnisse und Mühe in der Schule oder im Lehrbetrieb.
«Für diese Jugendlichen ist die Schwelle, Unterstützung bei einem Psychologen oder einer Dienststelle zu suchen, sehr hoch», sagt Psychologin Qendresa Latifi. «Es ist noch ein Schritt, den sie unternehmen müssen, noch eine Aufgabe, die sie belastet. Der Jugendraum soll kein Ort des Müssens sein.» Die Jugendlichen fänden dort immer ein offenes Ohr vor. Ob und wie sie die Unterstützung annehmen, entscheiden die Jugendlichen selbst – und genau das ist das Erfolgsrezept.
Die psychische Gesundheit sei bei den Jugendlichen immer noch ein grosses Tabu, sagt Silvère Ackermann. Hinzu kommt: «Die Angebote im Bereich psychische Gesundheit sind nicht besonders inklusiv, es braucht einen gewissen Effort, um sie in Anspruch zu nehmen.» Qendresa Latifi beobachtet: «Den ersten Schritt zu machen, ist für die Jugendlichen sehr schwer. Wenn sie sich aber für ein Gespräch entscheiden, erzählen viele sehr offen.»
An die Bedürfnisse der Jugend anpassen
Derzeit kommen rund 50 bis 70 Jugendliche pro Woche in den Jugendraum, was dem Team erlaubt, aktuelle Problemstellungen zu erkennen und anzugehen. Das erfordert aber auch sehr viel Flexibilität. «Wir passen uns den Bedürfnissen an und verändern unsere Methoden immer wieder. Das ist ziemlich anstrengend – aber absolut notwendig», betont Silvère Ackermann. Nicolas Mangold fügt an: «Wir machen keinen Plan mit verschiedenen Aktivitäten. Die Initiative kommt immer von den Jugendlichen.» Das Team entwickle die Aktivitäten mit den Jugendlichen, mit einem Blick auf den soziokulturellen Mehrwert, den diese bieten. Derzeit wolle eine Gruppe fischen gehen: «Wir schauen nun, in welcher Form wir das umsetzen können», so Nicolas Mangold.
Die Erfolge des Projekts sind schwierig messbar. «Meist realisieren Jugendliche erst Jahre später, was ihnen der Jugendraum gebracht hat», sagt Qendresa Latifi. Weil das Team die Jugendlichen über einen langen Zeitraum begleite, könne sie auch Verbesserungen sehen, die von aussen nicht unbedingt sichtbar seien – und diese Verbesserungen mit den Jugendlichen reflektieren. Es gibt denn auch keine fixe Altersobergrenze, junge Menschen können auch nach Abschluss der Schule oder gar der Lehre in den Jugendraum kommen. Denn: «Wenn die Unterstützung mit dem Eintritt in die Lehre mit 15 Jahren plötzlich wegfällt, kann das zum Problem werden», so Silvère Ackermann.
Der Preis «Gesunde Stadt» ist für das Team eine wichtige Anerkennung. «Er gibt unserem Projekt eine Sichtbarkeit und anerkennt unseren Ansatz auf nationaler Ebene.» Dies sei in Moutier gerade auch im Hinblick auf den Wechsel zum Kanton Jura in den nächsten Jahren zentral. Denn im Gegensatz zu Bern sieht der Kanton Jura den Einsatz von Pflegefachpersonen in den Schulen vor. Für das Team wäre es aber wichtig, dass die Pflegefachpersonen bei ihnen integriert bleiben – denn dieser multidisziplinäre Ansatz ist hier sehr erfolgreich.
Die weiteren Preisträger: Beromünster und Genf
Gemeinde Beromünster (LU): «Bedürfnisanalyse mit Jugendlichen der Gemeinde Beromünster und Umsetzung der eruierten Handlungsfelder»
Mit ihrer Gemeindestrategie 2021–2024 setzt sich die Gemeinde Beromünster aktiv für die Gesundheitsförderung ihrer Bevölkerung ein, insbesondere der Jugendlichen im Alter von 12 bis 21 Jahren. Das Ziel besteht darin, die psychische und physische Gesundheit der Jugendlichen zu fördern. Wie wird dies erreicht? Basierend auf einer gründlichen Bedarfsanalyse hat die Jugendarbeit der Gemeinde insgesamt sechs Projekte umgesetzt. Die Anzahl der abgeschlossenen Projekte seit 2021 ist ebenso bemerkenswert wie die systematische Einbeziehung der Jugendlichen bei der Umsetzung dieser Massnahmen. Sowohl die Einrichtung von Sportanlagen wie «Streetsoccer», die Neugestaltung eines Spielplatzes als auch die Entwicklung des monatlichen Jugendarbeitsprogramms wurden in enger Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen realisiert.
Stadt Genf: «Bewegung im Alter – Bleiben wir dynamisch!»
Der Titel sagt alles. Mit diesem vom Sozialdienst der Stadt Genf entwickelten Projekt sollen sowohl die Mobilität der Seniorinnen und Senioren gefördert als auch die sozialen Beziehungen aufrechterhalten und somit ein Beitrag zur Bekämpfung der sozialen Isolation von Menschen ab 65 Jahren geleistet werden. An dieser Stelle gilt es insbesondere, die Einfachheit und Effektivität dieser Massnahme hervorzuheben. Worin besteht die Massnahme? Regelmässig werden Treffen für Spaziergänge und gemeinsame körperliche Übungen organisiert. Diese werden von Gesundheitsfachpersonen sowie Sporttrainerinnen und -trainern betreut, die ebenso ein offenes Ohr für die Anliegen der Teilnehmenden mitbringen und persönliche Tipps geben. Durch die Gruppenaktivitäten werden soziale Beziehungen geschaffen und gestärkt. Ein weiteres besonderes Merkmal dieses Projekts liegt darin, dass es nach Stadtvierteln organisiert wird und somit in der Nähe des Wohnorts der Seniorinnen und Senioren angeboten wird. Nach dem Erfolg in den Pilotquartieren wird es nun auf die ganze Stadt ausgeweitet.
Preis «Gesunde Gemeinde – Gesunde Stadt 2023»
Die Förderung des Wohlbefindens und der Lebensqualität der Bevölkerung ist ein zentrales Anliegen der öffentlichen Politik, sowohl auf nationaler als auch auf kantonaler und auf kommunaler Ebene. Die Schaffung eines gesunden Lebensumfelds gehört zu den vielfältigen Herausforderungen, denen sich Gemeinden und Städte in der Schweiz stellen. Der nationale Preis «Gesunde Gemeinde» beziehungsweise «Gesunde Stadt» würdigt zum fünften Mal ihr Engagement in diesem Bereich. Er wurde am 31. August 2023 anlässlich des Städtetags des Schweizerischen Städteverbands verliehen.
32 Schweizer Gemeinden und Städte haben sich für die diesjährige Ausgabe beworben. Nach einer sorgfältigen Prüfung der Bewerbungen durch vier regionale Jurys wurden elf Kandidaturen nominiert. Aus diesen wählte eine nationale Jury drei Preisträgerinnen aus: die Gemeinde Beromünster (LU) sowie die Städte Moutier (BE) und Genf (GE). Als Zeichen der Anerkennung für die herausragenden Leistungen erhielten die Gewinnerinnen eine Preissumme von je 5000 Franken. Zu den Nominierten zählten zudem Aargau Süd (AG), Meilen (ZH), Stäfä (ZH), Surses (GR), Château d’Œx (VD), Mendrisio (TI), Baar (ZG) und Reichenburg (SZ).
Den Preis «Gesunde Gemeinde – Gesunde Stadt 2023» tragen die folgenden Organisationen: Bundesamt für Gesundheit, Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, Gesundheitsförderung Schweiz, Schweizerischer Gemeindeverband, Schweizerischer Städteverband und Schweizerische Gesundheitsstiftung Radix. Diese Organisationen bilden auch die nationale Jury. Die kantonalen Beauftragten für Gesundheitsförderung sind für die regionalen Nominierungen verantwortlich. Der Preis wird alle drei Jahre verliehen.