Arealentwicklung: «Gemeinden brauchen eine klare Vorstellung»
Wie können Gemeinden die bauliche Entwicklung des Siedlungsraumes steuern und gestalten? Antworten hat Jürg Marti. Er hat in seiner Zeit als Gemeindepräsident von Steffisburg (BE) die Entwicklung verschiedener Areale initiiert und begleitet. Das Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gemeindeverbands weiss: Auch kleine und mittlere Gemeinden können mit einem souveränen Auftritt und einem genauen Plan viel bewegen.
Jürg Marti, weshalb sollen Gemeinden überhaupt in der Arealentwicklung tätig werden? Sie könnten das doch auch privaten Investoren überlassen.
Tatsächlich gibt es Gemeinden, welche die Arealentwicklung gezielt betreiben, und andere, die hier weniger aktiv sind. Nebst dem Know-how benötigt die Gemeinde ein klares Zielbild. Letztlich geht es bei der Arealentwicklung darum, das Gesicht der Zukunft zu gestalten. Die Gebäude, die wir heute planen und bauen, werden für die nächsten 50, 100, ja vielleicht 150 Jahre das Siedlungsbild prägen. Als Planungsbehörde kann man zwar viel lenken, ist die Gemeinde aber Grundeigentümerin, so hält sie die Fäden in der eigenen Hand.
Als Gemeindepräsident von Steffisburg (BE) haben Sie verschiedene Areale entwickelt. Wie sind Sie vorgegangen?
Als ich 2009 das Amt des Gemeindepräsidenten übernahm, hatte ich als Betriebsökonom zwar einen breiten Hintergrund, aber keine Erfahrung mit Arealentwicklung. Zum Glück konnte ich für die fachliche Unterstützung auf mein kompetentes Team und Experten zählen. Ich fand das Thema spannend und habe viel Zeit im Sinne von Learning by Doing investiert. Das und ein politischer Konsens, dass eine Entwicklung gewollt ist, waren die Grundvoraussetzungen für die Projekte im Oberdorf und Unterdorf von Steffisburg.
Steffisburg ist durch den Fluss Zulg zweigeteilt in Oberdorf und Unterdorf. Sie entwickelten die Projekte in beiden Ortsteilen parallel. Weshalb?
Als ich mein Amt antrat, gab es sowohl im Ober- als auch im Unterdorf Bauland, das vor einer möglichen Entwicklung stand. Ich sah das als Chance, hier etwas für das Dorf bewegen zu können. Gleichzeitig war mir bewusst: Wenn zunächst das Unterdorf entwickelt werden würde, so würde Gewerbe und ganz allgemein Leben angezogen – auf Kosten des Oberdorfs. Uns war wichtig, ein Gleichgewicht zwischen beiden Ortsteilen zu schaffen, damit alle profitieren.
Bei Arealentwicklungen stehen Gemeinden, die zum Teil begrenzte Ressourcen haben, Baukonzernen mit viel mehr Mitteln gegenüber. Da gibt es ein gewisses Machtgefälle – wie können Gemeinden damit umgehen?
Gemeinden müssen eine klare Vorstellung davon haben, was sie wollen. Sie sollten sich genau überlegen: Was ist das Beste für meine Gemeinde? Und die Planung danach ausrichten. Gemeindeverantwortliche können als Planungsbehörde durchaus selbstbewusst auftreten. Sinnvoll ist es, mit den relevanten Anspruchsgruppen (Grundeigentümer, Gemeinde und Ankernutzenden) eine Auslegeordnung zu machen und ein gemeinsames Zielbild verbindlich zu definieren.
«Gemeindeverantwortliche können als Planungsbehörde durchaus selbstbewusst auftreten.»
Der Einbezug der Bevölkerung ist bei grossen Projekten vorgeschrieben. Wie wichtig sind partizipative Prozesse bei der Arealentwicklung?
Sie sind zentral. In meiner Zeit als Gemeindepräsident habe ich gelernt, die Bevölkerung früh abzuholen und möglichst transparent zu informieren. Als Gemeinde sollte man sich genau überlegen, wen man wann wie informiert. Eher schlechte Erfahrungen habe ich damit gemacht, einzelne Gruppen, wie die Nachbarschaft, exklusiv zu informieren. Die Gefahr, dass Informationen dann doch an die Öffentlichkeit gelangen und in einem anderen Kontext als gewünscht, ist hoch.
Wo sehen Sie die Grenzen der Partizipation?
Mit Informationsveranstaltungen und partizipativen Prozessen erreicht man nur einen Bruchteil der Bevölkerung. Steffisburg hat mehr als 16 000 Einwohnende, an Informationsveranstaltungen kommen jeweils zwischen 50 und 100 Personen. Reklamationen, dass nicht genug informiert wurde, sind da kaum zu vermeiden, auch wenn man als Gemeinde das Gefühl hat, dass man umfassend informiert hat. Besonders wenn die Bauarbeiten beginnen und abschätzbar wird, wie gross die Gebäude werden, gibt es oft kritische Stimmen.
Zum Schluss: Was macht eine gute Arealentwicklung aus?
Entscheidend ist, dass die Gemeinde genau weiss, was sie will. Je präziser die Bestellung eines Projektes ist, desto besser. Es lohnt sich, Zeit in Machbarkeitsstudien zu investieren, um herauszufinden, was realisiert werden soll und kann. Gleichzeitig gilt es, die Stakeholder im Auge zu behalten: Wer ist involviert, wer entscheidet was, wer hat welche Interessen? Wenn lokales Gewerbe involviert ist, gilt es zudem die genauen Vorstellungen sowie die finanziellen Möglichkeiten realistisch zu prüfen.
Zur Person
Jürg Marti war von 2009 bis 2021 Gemeindepräsident von Steffisburg (BE). Seit 2016 ist er Mitglied des Vorstands des Schweizerischen Gemeindeverbands, wird sein Amt aber bei den Gesamterneuerungswahlen im Sommer 2024 abgeben. Nach dem Gemeindepräsidium war er als Leiter Real Estate bei der Migros Aare tätig, mittlerweile ist er selbstständig.