Abstimmungen über Gemeindeparlamente: Die Pro- und Kontra-Argumente

12.07.2024
7-8 | 2024

9. Juni 2024, Abstimmungssonntag. Sursee, Schmitten, Tafers – drei Gemeinden, dreimal dieselbe Frage: Soll ein Parlament anstelle der Gemeindeversammlung eingeführt werden? Zwei unterschiedliche Vorgeschichten, wie es zur Abstimmung kam. Eine Gemeinde, welche die Gemeindeversammlung durch ein Parlament ersetzen wird.

Blicken wir zunächst ins freiburgische Tafers: Per Januar 2021 fusionierten die Gemeinden Alterswil, St. Antoni und Tafers. Im damaligen Fusionsbericht war ein Parlament – ein Generalrat – bereits angedacht. Der Gemeinderat von Tafers erklärte an einer Informationsveranstaltung im März 2024, dass er für die Legislatur 2026 über den Wechsel zu einem Generalrat abstimmen lassen würde.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein neues Parlament eingeführt wird, steigt in der Regel, wenn die Regierung das Vorhaben unterstützt respektive es von sich aus vorschlägt. Jedoch keine «Regel» ohne Ausnahme: In Rapperswil-Jona forcierte die Exekutive das Anliegen – und dennoch lehnten die Stimmberechtigten den Systemwechsel mit 51,7 Prozent ab.

In Schmitten – ebenfalls im Kanton Freiburg – wie auch im luzernischen Sursee verhielt es sich anders: Hier wurde der Wechsel hin zu einem Parlament mittels Initiative auf die politische Agenda gesetzt. In beiden Gemeinden sprach sich aber die Exekutive für die Beibehaltung der Gemeindeversammlung aus.

«Mehr Demokratie muss uns etwas wert sein» versus «Parlamentsbetrieb ist teuer und aufwendig»

Betrachtet man die Pro- und Contra-Argumente der jeweiligen «Seite» in den beiden Gemeinden Sursee und Schmitten, so ähneln sie sich sehr – und viele davon finden sich auch in der Abstimmungsbotschaft der Gemeinde Tafers wieder. Doch ist es auch generell ein Merkmal von Politik, dass ein und derselbe Sachverhalt anders beurteilt wird, wie es in den Zwischenüberschriften dieses Artikels zum Ausdruck kommt – so zum Beispiel auch die Frage der Kosten eines Parlamentsbetriebs, wie die beiden Zitate von Befürwortern und Gegnern des Parlaments in Sursee zeigen.

«Sinkende Beteiligung» versus «Gemeindeversammlung wirkt identitätsstiftend»

«Zwei Prozent der Stimmberechtigten», die an der Gemeindeversammlung teilnehmen – diese Zahl findet sich sowohl in der Abstimmungsbotschaft von Tafers als auch in der von Sursee. Doch während sie in der Freiburger Gemeinde von der Exekutive als Pro-Argument angeführt wird, ist dies in Sursee ein Argument der Initianten. Die sinkende Beteiligung an Gemeindeversammlungen bringt entsprechend auch das Initiativkomitee in Schmitten als Argument vor. Dies – so die Befürworter eines Parlaments in allen drei Gemeinden – untergrabe die Repräsentativität. Die Aspekte «Übervertretung gewisser Bevölkerungsgruppen» und «Mobilisierung durch Interessengruppen» finden sich auch als Nachteile der Gemeindeversammlung in der Beschlussfassung in Sursee. Dennoch: Für die Exekutiven in Sursee und Schmitten ist die Gemeindeversammlung der Inbegriff der direkten Demokratie, da in diesem System alle interessierten stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger aktiv teilnehmen und mitbestimmen können.

«Schwächung der Demokratie durch Kompetenzdelegation» versus «breit abgestützte, transparente Entscheidungen»

Ein verbindendes Element zwischen den Streitern für das Parlament und denen für die Gemeindeversammlung ist, dass sie jeweils die Stärkung der Demokratie für sich in Anspruch nehmen.

So wird von den Parlamentsbefürwortern neben der Frage der Repräsentativität betont, dass die Mitwirkung bei Sachfragen durch ein kontinuierliches Gremium «systematischer und intensiver» erfolge (Gemeinderat Tafers) und dadurch «getroffene Entscheide vorgängig ausreichend diskutiert, breiter abgestützt und abgewogen» seien (Initiativkomitee Sursee).

Für die Gemeindeversammlung wird die Möglichkeit, direkt Fragen und (Änderungs-)Anträge zu stellen, in allen drei Gemeinden in die Waagschale geworfen. So könnten die Stimmberechtigten «ihre Anliegen einbringen und sich in Voten zu den Sachgeschäften äussern» (Stadtrat Sursee).

Die Frage der Partizipation, die unabhängig von der Ausgestaltung des politischen Systems besteht, ist zentral und bleibt aktuell. Wie können Stimmberechtigte – aber auch andere in der Gemeinde wohnhafte Menschen wie Kinder, Jugendliche, Ausländerinnen und Ausländer – sich jenseits der Gemeindeversammlung respektive Wahlen und Abstimmungen am politischen Prozess beteiligen? Und für Parlamente: Wie kann die Bevölkerung an ihrer Arbeit partizipieren?

Doch kommen wir auf den Anfang des Artikels zurück: Wie haben die Stimmberechtigten die Frage «Gemeindeversammlung versus Parlament?» beantwortet? Der Status quo bleibt in Schmitten (58 % Nein) und Sursee (66 % Nein) erhalten, Tafers wechselt zu einem Parlament (66 % Ja).

Nach der Diskussion ist vor der Diskussion – so wurde und wird die Frage nach der Art der Organisation immer wieder gestellt, mehrmals in derselben oder immer wieder auch neu in anderen Gemeinden. Vielleicht auch schon in Ihrer? Wobei es nicht unbedingt derart schwarz-weiss sein muss: Statt eines Wechsels lautete in Gemeinden einiger weniger Kantone die Antwort «Parlament und Gemeindeversammlung» beziehungsweise gar «weder noch» und alles wird an der Urne entschieden – Föderalismus auch im politischen System!

Verhältnis Gemeinden und Parlamente

Von den 2131 Gemeinden (Stand: 11. März 2024) verfügen 459 über ein Parlament. Im luzernischen Ebikon wird sich im September 2024 der Einwohnerrat konstituieren, in Tafers soll es im Jahr 2026 zur Konstituierung des Generalrats kommen, somit wird es zwei weitere Parlamente geben.

Michael Strebel
Politikwissenschafter