Der Friedhof ist in der Moderne angekommen
Klimawandel, Digitalisierung und veränderte Anforderungen der Gesellschaft: Die Friedhofspflege wandelt sich. Ein Besuch in Luzern, wo die Friedhöfe auf biologisch produzierte Pflanzen setzen und neue Bestattungsarten anbieten.
Der Friedhof Friedental in Luzern empfängt die Besuchenden mit mächtigen, klassizistischen Gebäuden am Eingang, gebaut anlässlich dessen Gründung im 19. Jahrhundert. Doch der Eindruck täuscht: Obwohl der Tradition verpflichtet, ist auf dem Friedhof die Moderne eingezogen. Das zeigt sich bei einem Rundgang mit Pascal Vincent, Leiter Friedhöfe der Stadt Luzern. Auf dem Friedhof Friedental finden sich die unterschiedlichsten Gräber. Von den Prunkgräbern bedeutender Familien aus dem 19. Jahrhundert bis zu einfachen Gemeinschaftsgräbern sind sie Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes, aber auch individueller Wünsche. Eines aber ist ihnen gemein: das viele Grün rund um die Gräber, Wiesen, Hecken, Sträucher und Bäume sowie Blumen auf und neben den Gräbern, entweder gepflanzt von Gärtnern oder mitgebracht von Angehörigen.
«Ich glaube, die Menschen schätzen die Friedhöfe als multifunktionalen Raum, gerade weil sie Orte der Stille und der Stadtgeschichte sind.»
Robuste Pflanzen
Die Friedhöfe sind denn auch Teil von Stadtgrün Luzern. «Als Mitglied von Grünstadt Schweiz sind wir der Nachhaltigkeit verpflichtet», sagt Pascal Vincent. Der Friedhof setzt deshalb seit einigen Jahren konsequent auf biologische Bepflanzung und auf Nützlinge statt auf chemische Schädlingsbekämpfung. Pascal Vincent zeigt auf einen Nistkasten an einer grossen Eiche: «Früher hat man die Mäuse auf dem Friedhof mit Gaspatronen bekämpft. Heute versuchen wir, Vögel anzuziehen, welche die Mäuse jagen.»
Einige Meter weiter bleibt Pascal Vincent vor einem Grab stehen, vor dessen Grabstein sich ein grüner Pflanzenteppich ausbreitet. Das Laienauge macht Walderdbeeren aus. «Wir pflanzen als Grabschmuck einheimische und robuste Pflanzen aus biologischer Produktion.» Diese seien nicht nur länger haltbar, sie bedürften auch weniger Pflege und leisteten einen Beitrag zur Biodiversität. Zudem können die Gärtnerinnen und Gärtner jene Pflanzen auswählen, die auch den veränderten Klimabedingungen – Stichwort Trockenheit – standhalten. Der Nachteil: Sie blühen nicht immer so schön bunt, wie dies ausländischer Wechselflor tut, der alle paar Monate ersetzt werden muss. «Die meisten Menschen haben Verständnis für unseren Ansatz. Wir versuchen, offen zu kommunizieren und zu erklären, warum wir so vorgehen. Das kommt in der Regel gut an.»
Vertrauen aufbauen
Gute Kommunikation und Vertrauen aufbauen – das ist für Pascal Vincent das A und O für die Arbeit auf dem Friedhof. Nebst dem Unterhalt des Friedhofs und der Gräber beinhaltet die Aufgabe des Friedhofs auch die Administration, die sich um die Anmeldung der Todesfälle und die Organisation von Beisetzungen kümmert. Wenn jemand stirbt, ist der Friedhof Friedental die zentrale Anlaufstelle in der Stadt Luzern. «Die Menschen befinden sich in einer emotional schwierigen Lage, wenn sie bei uns anrufen, um einen Todesfall anzumelden. Da ist es wichtig, dass sie sich aufgehoben fühlen und bei der Beerdigung alles reibungslos abläuft. »
Die Anforderungen der Menschen an eine Bestattung haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Das klassische Begräbnis mit Grabstein oder die Urnenbeisetzung in einem Gemeinschaftsgrab sind zwar immer noch gefragt. Doch immer mehr Menschen sehnen sich nach einem naturnahen Begräbnis – gerade solche, die sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen. Aus diesen Gründen hat der Friedhof das Grabangebot auf die veränderten Bedürfnisse angepasst, zum Beispiel mit sogenannten Themengräbern.
Pascal Vincent zeigt das Themengrab «Wald» auf dem Friedhof Staffeln, einem Quartierfriedhof am Waldrand. Urnen können dort individuell, also nicht in einem Gemeinschaftsgrab, beigesetzt werden. Der Ort der Beisetzung wird markiert mit einer einfachen Steinplatte mit einer Inschrifttafel. Darauf können die Angehörigen Blumen oder kleine Erinnerungsstücke platzieren. Die Erinnerungsorte verteilen sich auf einer sanft abfallenden Wiese, bestückt mit verschiedenen Bäumen. «Für viele Angehörige ist es wichtig, einen Ort zu haben, an dem sie der Verstorbenen gedenken können und wo sie einen persönlichen Ablageort haben.» Dieses Bedürfnis wird mit den Themengräbern erfüllt. Pascal Vincent betont, dass dieses an sich einfache Konzept auch auf kleineren Friedhöfen – wie der Friedhof Staffeln einer ist – gut umsetzbar sei. Der Aufwand für die Friedhofsgärtner sei überschaubar: Zwar müssen sie die Wiese um die Gräber herum mähen. Dafür entfällt eine aufwendige Pflege von Pflanzen wie auf einem traditionellen Grab.
Virtuelle Karte
Zurück in seinem Büro beim Friedhof Friedental stellt Pascal Vincent – der ausgebildeter Landschaftsgärtner ist – seinen Computer an. Darauf öffnet er eine interaktive Karte des Friedhofs mit verschiedenen Grünschattierungen und vielen kleinen orangen Vierecken. «Wir verfügen über einen digitalen Plan, auf dem genau hinterlegt ist, was wo gepflanzt ist.» Auf den Friedhöfen sind sämtliche Gräber eingezeichnet, mit dem Vermerk, ob sie belegt oder frei sind. Das digitale Tool ermöglicht es den Gärtnerinnen und Gärtnern, bei Bepflanzungen gezielt vorzugehen. Sie können so auch genau ausrechnen, wie viel Prozent der Fläche beispielsweise naturnahe Wiesen sind.
Andererseits ermöglicht das Tool auch einen Service für die Besuchenden des Friedhofs: die digitale Grabsuche. Wer ein Grab auf dem weitläufigen Friedhof Friedental oder auf einem anderen städtischen Friedhof sucht, gibt den Namen des Verstorbenen ein und erhält dann eine Karte, auf der markiert ist, wo sich das Grab befindet. «Wir beobachten, dass die digitale Suche hohe Zugriffszahlen hat. Wer sie nutzt, sucht oft mehr als ein Grab», sagt Pascal Vincent.
Längst besuchen aber nicht nur trauernde Angehörige die Friedhöfe. Diese sind gerade während der Coronapandemie ein beliebtes Naherholungsgebiet geworden. Pascal Vincent freut das: «Wir finden es schön, wenn die Friedhöfe nicht nur als Stätten der Trauer gesehen werden, sondern als die schönen, grünen Oasen mit hoher Biodiversität, die sie sind.» Klar brauche es gewisse Regeln – Besuchende müssten die Ruhe respektieren. Das sei aber bisher kein Problem gewesen. «Ich glaube, die Menschen schätzen die Friedhöfe als multifunktionalen Raum, gerade weil sie Orte der Stille und der Stadtgeschichte sind.»
Tag des Friedhofs, 16. und 17. September 2023
Seit 2014 findet jeweils am dritten Wochenende im September der Tag des Friedhofs statt. Organisiert wird dieser von der Vereinigung Schweizerischer Stadtgärtnereien und Gartenbauämter (VSSG). Ziel ist es, die Friedhöfe als kulturelle Güter, als Orte der letzten Ruhe und des Abschiednehmens, aber auch als grüne Oasen zur Erholung ins Bewusstsein zu rücken, wie es auf der Homepage der VSSG heisst. Auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Leben, Tod und Trauer soll damit angeregt werden. Zahlreiche Friedhöfe in Städten, aber auch in kleineren Gemeinden in der Deutschschweiz und in der Romandie machen mit und bieten Führungen oder Veranstaltungen an. Pascal Vincent, Leiter Friedhöfe bei Stadtgrün Luzern, ist Mitglied der Arbeitsgruppe Friedhöfe beim VSSG und betont, dass es sich auch für kleinere Gemeinden lohne mitzumachen. Ein aufwendiges Programm sei nicht nötig, einzig die Bereitwilligkeit, Einblick in den jeweiligen Friedhof zu geben. Denn jeder Friedhofsgärtner oder jede Friedhofsgärtnerin habe etwas Spannendes über seinen oder ihren Friedhof zu erzählen.
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